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Unterm Messer

Unterm Messer

Titel: Unterm Messer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Rossmann
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auf, Frotteemantel mit „Beauty-Oasis“-Logo heraus, überziehen. Die Lifttür geht auf, ich atme durch, bin im Gang, binde den Bademantel zu. Ich habe es in meinem Pensionszimmer ausprobiert: Der Mantel ist so groß, dass man meine halblange Hose und das ausgeschnittene kurzärmlige T-Shirt nicht sieht. Was ich nicht bedacht habe: Über dem Mikro ist jetzt eine dicke Lage Frottee. Ich kann nur hoffen, dass es trotzdem sendet. Oder ich muss es anderswo festmachen ... Die Expertin für so etwas ist Vesna.
    Zwei Frauen, ebenfalls in cremefarbenem flauschigem Bademantel, kommen mir entgegen, offenbar haben sie ihre Wellnessstunde bereits hinter sich. Ist Vesna schon in der Nähe? Das andere Problem mit meinem Sender ist: Sie kann zwar mich hören und angeblich auch orten, aber ich sie nicht. Eine junge Frau in weißem Arbeitskittel biegt aus einem Massagezimmer und geht vor mir durch die weit geöffnete Doppeltür in den Wohlfühlbereich. Sechs Leute im zentralen Raum, von dem aus weitere Massagezimmer, das Hallenbad, der Kosmetiksalon, der Whirlpool zu erreichen sind. In der Mitte ein Brunnen mit „mineralisiertem Wasser“, in einer schicken Kühlbox aus Plexiglas Säfte zur freien Entnahme, ein Obstkorb, getrocknete Früchte und eine Schale mit Nüssen. Rattanmöbel. Links, gegenüber der Tür zum ersten Massageraum, ein Regal mit Büchern über Wellness, mit Schönheitsratgebern von Professor Christoph F. Grünwald und einigen der sicher segensreichen Erzeugnisse von „Beauty&Young“, daneben Produkte des Hildegard-Klosters. Die Ringelblumencreme ist nicht dabei. Mist. Also gibt es sie auch hier nicht mehr. „Verkauf an der Rezeption“, steht auf einer Tafel. Sam Miller ist nicht zu sehen. Eine junge Frau in weißem Hosenanzug mit „Beauty-Oasis“-Logo holt zwei ältere Frauen im Flauschbademantel ab. Wellnessbehandlung. Sanfte Ergänzung zu den Methoden des Schönheitschirurgen. Niemand scheint sich um mich zu kümmern. Der Zeitpunkt ist günstig. Ich weiß, dass Sam Miller ein kleines Büro hat, es liegt hinter der Tür neben dem Regal. Mein Herz klopft eine Art Cha-Cha-Cha. Viel zu schnell. Der Mann, der sich gerade eine Handvoll Nüsse in den Mund gesteckt hat, sieht interessiert zu mir herüber. Idiot. Irgendwo, wahrscheinlich ohnehin bei uns im ,Magazin‘, habe ich gelesen, dass sich Wellnessfarmen wunderbar dazu eignen, einsame Herzen zueinanderzuführen. Nimm lieber noch eine Ladung Nüsse und schwirr ab. Bist mir zu alt. Und zu fett. Ich will zu Oskar. Und das sofort. Muss gewirkt haben, der Mann sieht zweifelnd zum Hallenbadeingang und geht dann Richtung Lift. Jetzt aber. Keiner sieht her zu mir. Ich habe die Hand schon fast an der Klinke, da geht die Tür zum Massageraum auf. Mein Herz tut einen bösen Sprung. Ich mache einen Schritt hinter den großen Ficus Benjamini, aber richtig verstecken kann ich mich da nicht. Plan B. Wenn mich Sam Miller bemerkt, frage ich nach einer Massage. Jetzt ist die Tür zum Massageraum ganz offen. Heraus kommt eine Frau um die dreißig, kein Gast, sondern eine Mitarbeiterin. Leicht am weißen Hosenanzug zu erkennen. Sie trägt ein Flipboard und eilt geschäftig davon. Ich atme durch. Jetzt, sofort. Ich geh zur Tür, bin darauf gefasst, dass Sam Miller im Raum ist, habe meinen Spruch von der Massage schon auf den Lippen. Das kleine Zimmer ist leer. Du hast Glück Mira, Riesenglück! - Aber wo soll ich zu suchen anfangen? Was, wenn mich jemand entdeckt? Dann kann ich mich nicht mehr so einfach herausreden. Creme. Wo hebt man Creme auf? Ich ziehe an der obersten Schreibtischschublade. Unversperrt. Kugelschreiber, ein unbeschriebener Notizblock, Kaugummi. Lade zwei. Ebenfalls unversperrt. Schere, ein Locher. Na super. Ich sollte raus hier. „Da ist nichts“, flüstere ich in Richtung Hosenbund. Weiß nicht, ob mich Vesna hören kann. Jedenfalls ist die Vorstellung, dass ich mit ihr verbunden bin, ganz beruhigend. Einer dieser Fliegerkoffer. Er steht halb offen neben dem Schreibtisch. Sam packt offenbar. Ich ziehe einige Zeitschriften aus dem ersten Fach, Wellness, Gesundheit, nichts, was mich unmittelbar interessiert. Ein Tiegel mit Massagegel. Rascher Blick zur Tür. Nichts. Ich schraube den Tiegel auf, wer weiß, was da drin ist, und es kommt mir gleich darauf lächerlich vor. Halb durchsichtige geleeartige Masse. Sonst nichts. Ich schraube den Tiegel wieder zu, stelle ihn zurück in den Koffer. Raus hier. Die Nonne hat mich wieder einmal zum Narren gehalten. —

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