Unterm Messer
aus dieser zauberhaften, aber explosiven Gegend.
Gegen zehn am Abend stößt Nat zu uns. Wir sitzen in der Buschenschank mit der schönen Aussicht und den viel zu großen Portionen. Außer unserem sind nur noch zwei Tische besetzt, alles überschaubar. Gut so. Ich hätte Nat fast nicht wiedererkannt. In kurzen Hosen, Tanktop und mit dieser Frisur sieht sie aus wie eine dreißigjährige Amazone, ein modernes Bondgirl. Nie im Leben wie eine anerkannte Wissenschaftlerin und die Leiterin des Österreichischen Instituts für Genforschung. Sie war mehr als zwei Stunden im Fitnesscenter, erzählt sie uns und macht sich hungrig über eine mehr als üppige Brettljause her.
„Wenn alles klappt, dann treffe ich morgen Harald Fandl, den Triathleten, der Krebs hat. Ich habe ein wenig gelogen und gesagt, dass ich an der Entwicklung einer Blutkrebstherapie beteiligt bin. In gewissem Sinn stimmt das auch. Resveratrolartige Substanzen könnten die Wirkung von herkömmlichen Präparaten der Chemotherapie verstärken und Blockaden auflösen.“
„Ich weiß, warum ich habe lieber Rotwein als Weißwein“, sagt Vesna und nimmt einen Schluck.
Nat lacht. „Seit international an solchen Substanzen geforscht wird, ist der Rotweinkonsum kräftig angestiegen. Zumindest in den Forschungseinrichtungen. - Einiges habe ich aber schon heute herausgefunden: Die Sportler erzählen zwar nichts über Doping, aber sie erzählen, dass sie mit Grünwald Zusammenarbeiten und dass der für sie spezielle Trainingsprogramme habe erarbeiten lassen. Sie werden auch regelmäßig von ihm persönlich in der ,Beauty Oasis‘ untersucht.“
„Ob sie wissen, worauf sie sich einlassen?“, frage ich.
Nat schüttelt zweifelnd den Kopf. „Die Grünwald-Leute werden ihnen etwas spritzen. Und die Sportler werden schon vermuten, dass das nicht ganz legal ist. Wichtiger ist ihnen aber, dass sie plötzlich mehr Ausdauer haben, schneller sind. Wofür sie da als menschliche Versuchskaninchen genau herhalten, wissen sie sicher nicht. Dass Harald Krebs hat, scheinen sie nicht im Geringsten in Zusammenhang mit Grünwalds Spezialprogramm zu bringen.“
Den Dienstagvormittag verbringe ich damit, meinem Chefredakteur telefonisch klarzumachen, dass ich vielleicht einen Blattaufmacher habe. Wenn die Story aufgehe, dann mit einem Knaller. Wenn nicht ... bin ich es dann, die abgeknallt wird? Nein, über den Inhalt könne ich noch nichts sagen. Nicht einmal von Vesnas nicht registriertem Wertkartentelefon aus. Zwischen eigenartig verunreinigter Ringelblumencreme, „lieben Menschen“ und Industriespionage ist alles drin. Vielleicht gibt es auch längst Abhöranlagen, die nicht einmal Experten mehr auffallen, weil sie inzwischen mikroskopisch klein sind. Wann ich mehr wisse, will mein Chefredakteur erfahren. Heute. Morgen. Spätestens. Er stöhnt. „Liebste Mira, übermorgen ist Redaktionsschluss. Wo immer du bist, du kommst und wir reden darüber.“ Ich mache ihm klar, dass ich nicht weg kann. Er hat wirklich viel Vertrauen zu mir. Er gibt mir tatsächlich Zeit bis morgen. Vielleicht auch eine kleine Wiedergutmachung dafür, dass er sich vorige Woche auf die Seite des Geschäftsführers geschlagen hat. Vorige Woche. Das muss viel länger her sein.
Ich habe nicht die Ruhe, einfach abzuwarten. Andererseits: Wir dürfen keine Fehler machen. Vesna ist in der ,Beauty Oasis‘ unterwegs, um zu klären, ob es noch Ringelblumencreme gibt. Wenn ja, wird sie sie einfach kaufen. Ein Fan der Hildegard-Produkte. Und sie wird herausfinden, wie lange Sam noch da ist. Dann bin ich an der Reihe: Cremes ansehen, mit Sam reden. Hätte ich längst machen sollen, immerhin scheint er ein Vertrauter von Schwester Cordula gewesen zu sein. Wer weiß, was sie ihm alles erzählt hat. Und dann müssen wir warten, was Nat aus den Triathleten herausbekommt. Warten. Wie ich das hasse. Ich könnte auch gleich zu Sam ... Aber besser, Vesna besorgt zuerst die Ringelblumecreme. Entspanne dich, Mira. Du liebst die Sonne. Du legst dich jetzt an den Pool. Die Lateinamerikaner werden schon nicht kommen und dich massakrieren, während du die Augen zuhast. Die Lateinamerikaner ... wie passen die nun ins Bild? Ich ziehe ein langes T-Shirt über den Bikini und trabe über die Wiese zum Pool. Keiner da außer mir. Handtuch über die Liege. Ist doch wunderbar hier, oder? Was, wenn die beiden aus El Salvador etwas in die Creme gegeben haben? Aber die hätte Cordula wohl doch nicht als ,liebe Menschen‘ bezeichnet.
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