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Unterm Messer

Unterm Messer

Titel: Unterm Messer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Rossmann
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mit Grünwald. Er stöhnt. Ich darf mich nicht ablenken lassen. Muss Zeit gewinnen, bis Vesna kommt. Zeit! Das ist der Witz schlechthin. Das Mittel für ein längeres Leben! Ich muss Sam fixieren. Darf keine Bewegung übersehen.
    Grünwald muss zwischen uns bleiben. Ein kleiner Schritt Richtung Tür. Und wenn es mir gelingt, ihr näher zu kommen ... Sam Miller macht einige rasche Schritte. Nicht her zu mir, sondern zu einem Regal. Was hat er vor? Ich sehe ihn grinsen. Ich muss mich täuschen. Wenn die Tür nicht so weit weg wäre ... Er hat einen Behälter in der Hand. Irgendwann habe ich so einen schon einmal gesehen. Braunes Glas. Grünwald stöhnt auf. „Nein!“ Miller kommt mit dem Glasbehälter näher, wirft den Verschluss zu Boden, dumpfes Rollen wie von einer Kegelkugel, er bricht nicht.
    „Säure!“, schreit Grünwald. Sekundenbruchteile, und ich weiß, woher ich das Gefäß kenne. Chemisches Peeling. Sam sieht nicht so aus, als würde er das Mittel vorsichtig auftragen. Ich sehe, wie er die Zähne bleckt. Ich stoße mich vom Operationstisch ab, will zur Tür, die Säure, im selben Moment schwingt Sam Miller die Flasche in meine Richtung, die Flüssigkeit spritzt heraus, ein ganzer Schwall kommt auf mich zu, die Tür, ich muss ... Ein fürchterliches Brennen ... Die Tür, sie ist nahe, ich sehe nur noch ihre Umrisse, ich falle. Schraubstockgriff um meinen rechten Knöchel. Ich versuche mein verätztes Gesicht mit dem linken Arm zu schützen. Ein Knall. Bin das ich? Geborsten? Ist das die Flasche? Zu Boden gefallen und zersprungen? Ist das Grünwald? Durch Botox geplatzt? Der Griff. Er hat nachgelassen. Laut. Es ist so laut. Rennt Sam Miller über mich drüber?
    „Hier bin ich“, brüllt Grünwald. Ich rapple mich auf, nehme den Arm von meinem Gesicht. Es brennt immer noch höllisch. Ich kann nur dunkle Schatten erkennen, er hat meine Augen ... Die Brille. Der linke Bügel drückt gegen mein Ohr, sie ist verrutscht, aber ich habe die Brille noch auf. Ich nehme sie ab. Ich blinzle. Ich sehe. Ich könnte weinen, so glücklich bin ich. „Hierher“, keucht Grünwald auf seiner Liege. „Er hat mir viele Dosen Botox gespritzt. Ich kenne die Konzentration nicht. Es kann ins Rückenmark und mich lähmen. Keiner weiß, wie es aufs Rückenmark wirkt.“ Seine Stimme wird wieder zu einem Winseln. Knobloch steht mit einem Polizisten in Uniform im Eingang. Beide mit der Waffe im Anschlag. Ich rapple mich auf, sehe zu Sam Miller. Er liegt neben mir am Boden. Er stöhnt. Blutlache, sie scheint sich von der Schulter her auszubreiten. Jemand zieht mich ohne viel Rücksicht auf die Beine. Jemand schlingt die Arme um mich. Karl Simatschek. Mein Gerichtsmediziner. „Ich hab Säure im Gesicht“, krächze ich. Knobloch steht neben dem Operationstisch, schnallt Grünwald ab.
    „Jetzt reicht es“, faucht eine Stimme von draußen. „Polizeiaktion ist egal. Ich muss durch.“ Und da ist Vesna, schwer atmend. So aufgelöst, dass ich lächeln muss. Es geht, die Haut fällt nicht ab. „Du bist, ohne zu sagen, in anderes Stockwerk. Habe zu spät gemerkt, ich habe dich verloren.“
    „Doch nicht ganz“, sage ich und kann mit dem Lächeln gar nicht mehr aufhören.
    „An sich bin ich für deine Wunden nicht zuständig“, sagt Simatschek. „Zum Glück, fast wär ich es ...“ Dann schiebt er mich in die Arme von Vesna. Er will sich über Sam Miller beugen, bemerkt die zersprungene Flasche. Er schaut aufs Etikett, dann auf mich. „Das ist Alpha-Hydroxycarbonsäure.“ Er schaut zu Grünwald hinüber. Der stöhnt, versucht sich aufzusetzen. Simatschek geht zu Grünwald, packt ihn ohne jedes Mitleid bei der Schulter. „Was ist da genau drin? Wie stark ist die Säure? Was kann man gegen Verätzungen tun?“
    Grünwald schüttelt den Kopf, stammelt dann: „Peeling, nur an der Oberfläche, Fruchtsäure, hilft nicht viel gegen tiefe Falten ... Er hat mir so viel Botox ...“
    Zwei Sanitäter drängen uns zur Seite. Ich will hin zu ihnen, aber sie knien bei Sam nieder.
    „Sie müssen sich um mich kümmern“, ächzt Grünwald.
    Karl Simatschek kommt zu uns herüber. „Du hast eine Menge Glück gehabt. Ohne Brille ... deine Hornhaut wäre sozusagen auf Nimmerwiedersehen weg gewesen.“ Hat wirklich eine nette Art, sich auszudrücken, dieser Gerichtsmediziner. Er blickt mir aufmerksam ins Gesicht. „Ansonsten bist du ein wenig rot im Gesicht. Das wird sich legen.“

[ 17. ]
    Ich stehe in unserer Küche und koste den

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