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Unterm Strich

Unterm Strich

Titel: Unterm Strich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peer Steinbrück
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reichen. Deshalb müssen sie in einer Lebensphase der Existenz- und Familiengründung, in der ihre Aufmerksamkeit und ihre Ziele von vielem, aber garantiert am wenigsten von ihrem Rentnerdasein in einigen Jahrzehnten bestimmt sein dürften, zu einer zusätzlichen Vorsorge für das Alter motiviert werden.
    Die politisch spannende Frage ist, ob die Bundesregierung auch in der neuen Konstellation lupenrein an dem Beschluss festhält, die beiden ausgesetzten Korrekturfaktoren in den Jahren 2011 und 2012 wieder in Kraft zu setzen - also den Rentnern klipp und klar Nullrunden zu verordnen -, womit die unterbliebenen Rentendämpfungen endlich nachgeholt würden. Die Sozialverbände steigern den Kesseldruck bereits und fordern in Person der Präsidentin des Sozialverbands VdK Deutschland e.V., Ulrike Mascher, die Abschaffung der Rentenkürzungsfaktoren. Es bahnt sich also eine Kraftprobe an. Da sich die Bundesregierung selbst in einer Phase des Wirtschaftsaufschwungs Anfang 2008 nicht in der Lage sah, unterbliebene Rentenkürzungen nachzuholen, und die »Riester-Treppe« für zwei Jahre versperrte, sollte in dieser Kraftprobe niemand voreilig die stärkeren Bataillone bei ihr und ihrem parlamentarischen Tross vermuten. Der VdK ist mit 1,4 Millionen Mitgliedern die größte Rentnervereinigung Deutschlands. Einen vergleichbaren Interessenverband der 20- bis 30-Jährigen kenne ich nicht. »Es sind die alten Strukturen, die eine Lobby haben - nicht die neuen«, sagte einmal der frühere schwedische Ministerpräsident Göran Persson.
    Die Geschichte dieser Rentengarantie, die eine jahrzehntelang gültige Rentenformel zur Farce gemacht hat, ist noch nicht zu Ende erzählt. Auf den eingangs zitierten, die Lawine auslösenden Artikel des Handelsblatts vom 27. April 2009 kam eine regierungsinterne Projektion zu dem Ergebnis, dass die Rentenschutzklausel für das Jahr 2010 gar nicht zur Anwendung komme, weil nicht damit zu rechnen sei, dass die Lohn- und Gehaltssumme sinken und im Abwärtsflug die Rentenanpassung mit nach unten ziehen würde. Demnach bedurfte es also faktisch gar keiner Rentengarantie. Sie reduzierte sich auf ihr psychologisches Motiv, der herrschenden Verunsicherung entgegenzuwirken.
    Die nächste unerfreuliche Wendung ergab sich dann aber im Zuge der Wirtschaftskrise und ihrer Folgen für den Arbeitsmarkt. Das willkommene und wirkungsvolle Instrument der millionenfachen Kurzarbeit hatte den Effekt, dass die Lohn- und Gehaltssumme 2009 als Basis für die Rentenanpassung 2010 entgegen der bisherigen Prognose um rund 0,5 Prozent sank. Folglich wurde die Rentengarantie plötzlich doch praktische Politik, weil die Renten dementsprechend eigentlich zum 1. Juli 2010 keine Nullrunde hätten erfahren dürfen, sondern eine Absenkung. Die Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände schätzt die Gesamtkosten der Eingriffe in die Rentenformel seit 2005 auf 10,7 Milliarden Euro, davon die Kosten der Rentengarantie von Juli 2010 bis Ende Juni 2011 auf 1,7 Milliarden Euro. Die Frage, warum ich dieser Rentengarantie im Kabinett zugestimmt habe, muss ich mir als berechtigt gefallen lassen.
    Die deutschen Reformen, die unsere Altersversorgung demographiefester gemacht und ihre finanzielle Tragfähigkeit verbessert haben, galten international als vorbildlich. Dass es in der Legislaturperiode 2005 bis 2009 kein einziges Jahr mit einer Rentenanpassung ohne Eingriff in den zuvor beschlossenen Mechanismus der Rentendämpfung gegeben hat, wirkt nicht verlässlich und damit auch nicht vertrauensbildend. Der prinzipielle Ausschluss von Rentenkürzungen hat nicht nur die Systemfrage nach der lohnbezogenen Rente aufgeworfen, sondern, weit wichtiger, auch die nach der Generationengerechtigkeit. Der Vorsitzende des Wissenschaftlichen Beirats im Bundesministerium der Finanzen, Professor Clemens Fuest, nannte die Rentengarantie »einen schlimmen Anschlag auf die Generationengerechtigkeit«. Die politischen Kosten der eher situativ getroffenen Entscheidung zugunsten einer Rentengarantie wögen am langen Ende weit mehr als der politische Nutzen, eine artikulationsstarke Bevölkerungsgruppe beruhigt zu haben.
    Die ungebrochene Tendenz, Lasten in der Sozialversicherung in die Zukunft zu verschieben und dort anzuhäufen, um heute notwendigen Korrekturen zu entfliehen, die natürlich auf konfliktträchtige Zumutungen hinauslaufen, wird die Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen immer weiter anspannen. Kritiker nehmen deshalb gar nicht mehr Bezug auf

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