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Unterm Strich

Unterm Strich

Titel: Unterm Strich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peer Steinbrück
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die ausgewiesene, die sogenannte explizite Staatsverschuldung (1,7 Billionen Euro oder 79 Prozent der Wirtschaftsleistung 2010, mit steigender Tendenz). Sie beziehen sich vielmehr auf die sogenannte implizite Staatsverschuldung unter Berücksichtigung insbesondere der stark ansteigenden Beamtenpension und der zukünftigen Beanspruchung des Sozialsystems, die sich unter der Voraussetzung, dass die Versicherungsbeiträge nicht erhöht und die Leistungen nicht gekürzt werden, aus der Alterung der Gesellschaft ergibt. Diese implizite Staatsschuld wird von einigen Fachleuten auf über 250 Prozent unserer Wirtschaftsleistung (Basisjahr 2008) geschätzt. Zusammen mit der ausgewiesenen Staatsschuld ergibt dies eine Nachhaltigkeitslücke von etwa 7,8 Billionen Euro, die voll auf die Knochen nachfolgender Generationen schlägt.
Das Räderwerk des Sozialstaates
    Die Globalisierung eröffnet neue Horizonte und Optionen. Gleichzeitig erhöht sie den Wettbewerbsdruck und beschleunigt das Karussell. Die Wissensgesellschaft bietet hochqualifiziertem Fachpersonal sichere Existenzen und Aufstiegsmöglichkeiten an. Gleichzeitig sondert sie gnadenlos aus und geht mit einer Spaltung des Arbeitsmarktes einher. Der Staat soll Schutz vor den großen Lebensrisiken und den Widrigkeiten der Moderne organisieren, aber gleichzeitig Freiheitsräume erweitern, indem er Bürokratien abbaut und seine fiskalischen Begehrlichkeiten zügelt. Unter diesen Spannungsbögen polarisiert sich Gesellschaft: Globalisierungseliten, die Entgrenzungen aktiv betreiben, neue Zugänge zu nutzen wissen, in ihren nationalen Gesellschaften nicht mehr verwurzelt sind und in staatlichen Instanzen schwerfällige Gebilde sehen; eine Mittelschicht, die sich zu einem Teil auf der Rutschbahn sieht und einen Statusverlust befürchtet, den der Staat aufhalten müsste, während ein anderer Teil in Gestalt eines gewerblichen Bürgertums von jedweder staatlichen Gängelung befreit sein will und gegen die Lastenübernahme des Sozialstaatsversprechens anrennt; schließlich »Heerscharen von überflüssigen und chancenlosen Bildungsarmen« (Franz Walter) mit hohen Erwartungen an die Schutzmacht und fördernde Kraft des Staates. Einer starken wohlfahrtsstaatlich orientierten, strukturkonservativ eingestellten, Geborgenheit suchenden Gruppe - mit DDR-nostalgischen Einfärbungen in den neuen Ländern - steht eine Gruppe gegenüber mit dem »Willen nach Aufbruch, [einem] Gefühl des Ungenügens und des Unbehagens an diesem Beschütztwerden, kurz: [einem] Gefühl, sich stärker öffnen zu müssen. Man möchte die Risiken des Lebens nicht mehr aussperren ... Diese Leute möchten neue Abwägungen treffen und mit den Risiken haushalten lernen.«
    Mit dieser soziokulturellen Polarisierung entlang von Wohlstand, Bildung und Erlebniswelten verflüchtigt sich auch die bisherige Grundgewissheit, dass Interessengegensätze und Rivalitäten ohne Zerreißproben für die Gesellschaft aufgefangen und weiterhin in die Bahnen einer geregelten Konfliktlösung gelenkt werden können. Nicht zuletzt spiegelt sich in dieser Polarisierung auch die Ratlosigkeit politischer Parteien wider, die in Zeiten zunehmender Unübersichtlichkeit, Ambivalenz und Verschiedenartigkeit die konsternierende Erfahrung machen, dass ihr programmatisches und instrumentelles Repertoire ins Leere läuft und auf eingeklappte Ohren stößt.
    Hoffnungen und Erwartungen richten sich auf den Sozialstaat, seine fortdauernden Fähigkeiten und nie versiegenden Ressourcen, nicht nur in Not- und Bedarfsfällen abzusichern, sondern auch gegen Statusverlust zu versichern. Tatsächlich leidet dieser Sozialstaat aber an einer Überdehnung und Auszehrung, an einer politischen Überbeanspruchung einerseits und einer politischen Geringschätzung andererseits. Jede Realitätsverweigerung angesichts seiner brüchig gewordenen Grundmauern wird nachfolgenden Generationen teuer zu stehen kommen. Da der Sozialstaat eine ernsthaft nicht zu bestreitende Kulturleistung ist, das Ergebnis eines jahrzehntelangen Ringens mindestens seit der ersten Bismarckschen Sozialgesetzgebung, sollte das Interesse an seiner Rekonstruktion und nicht an seiner Demontage wegweisend sein. Damit ließen sich die beiden Flanken neutralisieren, nach denen der Sozialstaat entweder in Gutmenschenart immer höhere Leistungen erbringen soll, was eines Tages todsicher zur Selbstblockade des sozialen Versicherungssystems führen würde, oder in Gutsherrenart als Selbstbedienungsladen

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