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Unterm Strich

Unterm Strich

Titel: Unterm Strich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peer Steinbrück
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unabsehbare Zeit vergessen. Zweitens: Können staatliche und kommunale Stellen die nötigen öffentlichen oder gemeinnützigen Beschäftigungsmöglichkeiten schaffen, um die Forderung nach Gegenleistung oder einer Arbeitspflicht nicht nur im hohlen Bauch zu bewegen? Können sie das nicht oder stünde der Verwaltungsaufwand in einem krassen Missverhältnis zum Effekt oder würde ihnen aus Handwerk und Gewerbe eine geballte Ladung wegen Unsportlichkeit entgegenschlagen, dann hätten sie reinen Papierwert. Drittens: Sind sie umsetzbar, ohne neue Asymmetrien, Verzerrungen oder kontraproduktive Effekte auszulösen, die den nächsten Handlungsbedarf provozieren?
    Dies führt unter Abwägung aller Imponderabilien zu der nüchternen Schlussfolgerung, dass der vorzugswürdigste Weg darin liegt, an Hartz IV prinzipiell festzuhalten und sich auf eine bessere Justierung seiner Stellschrauben zu konzentrieren. Das ist dann eine Optimierung von Hartz IV, aber weder ein radikaler Umbau noch eine Rückführung in die angeblich besseren Vorzeiten.
    In Deutschland erhalten etwa 4,8 Millionen erwerbsfähige Hilfsbedürftige sogenannte Hartz-IV-Leistungen. Dazu kommen 2 Millionen Nichterwerbsfähige, überwiegend Kinder. Darüber hinaus erhalten 1 Million Menschen Sozialhilfe, die Grundsicherung im Alter oder Leistungen bei Erwerbsminderung als Asylbewerber. Zusammengezählt sind das knapp 7,8 Millionen Menschen, also 10 Prozent der deutschen Bevölkerung. Diese soziale Mindestsicherung für jeden zehnten Bürger der Bundesrepublik Deutschland finanziert der Staat mit über 40 Milliarden Euro, wobei das ALG II und das Sozialgeld den Löwenanteil ausmachen. Renten der gesetzlichen Altersversorgung beziehen etwa 20 Millionen Menschen.
    Zusammen sind das über 28 Millionen Menschen, die als Rentner oder nach den Sozialgesetzbüchern II und XII Leistungen mit Fürsorgecharakter erhalten. Das Arbeitslosengeld I für 1,3 Millionen Empfänger ist demgegenüber eine Versicherungsleistung. Weitere Elemente des sozialen Ausgleichs, die bedarfsabhängig gewährt werden und vor allem niedrige Einkommen ergänzen sollen, sind beispielsweise das Wohngeld mit 0,6 Millionen Empfängerhaushalten, der Kinderzuschlag für bis zu 0,1 Millionen Familien oder das BAföG für etwa 0,5 Millionen Auszubildende.
    Schließlich sollten die familienpolitischen Leistungen nicht unter den Tisch fallen. Das Instrument mit der größten Reichweite ist das Kindergeld, das für etwa 18,3 Millionen Kinder gezahlt wird. Das Elterngeld erhalten Eltern von knapp 0,7 Millionen Neugeborenen. Insgesamt beträgt der Familienetat etwa 185 Milliarden Euro jährlich, was im internationalen Vergleich pro Kind gar nicht so schlecht ist, aber offenbar die Beharrlichkeit mancher Probleme wie Kinderarmut und mangelnde Betreuungseinrichtungen nicht zu erschüttern vermag. Eine im Koalitionsvertrag der großen Koalition im November 2005 verabredete Effizienzprüfung aller familienpolitischen Leistungen wurde, trotz meiner mehrfachen Anmahnungen, in der Registratur des Ministeriums von Frau von der Leyen abgeheftet - lauter leere Blätter?
    Diese Zahlen treffen auf 40 Millionen Erwerbstätige, davon 28 Millionen in sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen, die (zusammen mit den Anteilen der Arbeitgeber) über Sozialversicherungsabgaben und Steuern das Sozialsystem am Laufen halten. Tatsächlich steht also bundesweit den 28 Millionen Rentnern und Empfängern von Leistungen mit Fürsorgecharakter inzwischen eine etwa gleich hohe Anzahl von sozialversicherungspflichtigen Erwerbstätigen gegenüber. In sieben von 16 Ländern - Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Vorpommern, Berlin, Brandenburg, Sachsen-Anhalt, Sachsen und Thüringen - übersteigt die Anzahl der Transferempfänger die der versicherungspflichtigen Beschäftigten über 18 Jahre um bis zu 28 Prozent (Sachsen-Anhalt). Viel Spaß all jenen in einem Landtagswahlkampf, die dort auch nur leiseste Zweifel an der Tragfähigkeit des Sozialsystems anmelden.
     

    D. Rentner
    Am 27. April 2009 erschien ein Artikel im Handelsblatt, der die Bundesregierung der großen Koalition exakt fünf Monate vor der Bundestagswahl sofort auf Trab brachte. Unter der Überschrift »Die Krise lässt die Renten sinken« wurde das Szenario entfaltet, dass 2010 20 Millionen Rentnern infolge der Wirtschaftskrise zum ersten Mal seit Einführung der dynamischen Rente im Jahr 1957 eine Kürzung ihrer gesetzlichen Altersbezüge um mehr als 2 Prozent

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