Unterm Strich
müsste und deshalb an anderer Stelle ins Kontor haut. Im Jahr 2010 zahlt der Bundeshaushalt bereits an die Rentenversicherung, an den Gesundheitsfonds und an die Bundesagentur für Arbeit über 130 Milliarden Euro, Tendenz steigend in den kommenden Jahren.
Daran wird unabweisbar deutlich, dass die Fiskalkrise nicht nur sozialpolitischen Leistungssteigerungen Grenzen setzt. Das spiegelt sich aktuell in der eisenhaltigen Auseinandersetzung über Regelsätze von Hartz IV in der Folge des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom Februar 2010. Die Fiskalkrise drückt vielmehr auch auf das erreichte Niveau von Transferleistungen und konfrontiert die Politik mit dem Dilemma, zwischen Zukunftsinvestitionen und sozialem Gegenwartskonsum entscheiden zu müssen. Ernstzunehmende Zeitgenossen weisen zu Recht darauf hin, dass es längst nicht mehr allein um die Frage einer akuten Krisenbewältigung geht. Sie fürchten vielmehr die mittel- bis längerfristigen Auswirkungen der Krise auf die Festigkeit und Verlässlichkeit der Sozialsysteme. Auf dem Wirtschaftsforum in Davos Ende Januar 2010 wurde Pascal Lamy, der Präsident der Welthandelsorganisation, deutlich mit seiner Warnung vor einer Erosion der Sozialsysteme vernommen. Wenn gleichzeitig und unberührt in den oberen Stockwerken der Gesellschaften Saus und Braus anhalten sollte, entsteht der Nährboden für soziale Spannungen.
Damit nicht genug. Weitere Mühlsteine drohen den Sozialstaat zu zermahlen. Die demographische Herausforderung springt uns geradezu an. Das zunehmende Missverhältnis von Erwerbstätigen, die mit ihren Abgaben das Aufkommen der Sozialversicherung gewährleisten, gegenüber den Empfängern von Transferzahlungen kann nur noch jemand mit einer Deformation professionnelle ignorieren. Drei Entwicklungen treten hinzu. Gegenüber den goldenen Zeiten sozialpolitischer Unbekümmertheit ist das Berufseintrittsalter in den letzten 30 Jahren gestiegen, was auf die Zahlungsdauer der Sozialversicherungsbeiträge durchschlägt. Das gilt ebenso und noch stärker für die geringere Lebensarbeitszeit. Heute sind 45 volle Beitragsjahre eher die Ausnahme als die Regel. Und schließlich ist die Lebenserwartung deutlich angestiegen. All das nimmt die Sozialversicherungssysteme auf der Aufkommensseite wie auf der Auszahlungsseite in den Schraubstock - und zwar völlig gnadenlos gegenüber politischem Gutdünken.
Unter einen Steinschlag droht auch der gut ausgebildete und aufstiegsorientierte Teil von Berufsanfängern zu geraten, wenn sie denn nach diversen Klimmzügen einen soliden Arbeitsvertrag erhalten haben. Sie finden schnell heraus, dass sie mit ihren hohen Rentenversicherungsbeiträgen - die Skala ist während ihres Berufslebens nach oben hin offen - einer heutigen Rentnergeneration bessere Lebensumstände finanzieren, als sie selbst je im Alter erwarten dürfen, wenn sie sich allein auf die gesetzliche Altersversorgung verlassen sollten. Der Anspruch - im Fachchinesisch: das Bruttorentenniveau - dürfte über die nächsten zwei, drei Jahrzehnte unter das heutige Niveau von 47 Prozent des letzten Gehalts sinken. Ihnen dämmert nach einiger Zeit, dass sie als junge Erwachsene nicht nur 700000 zusätzliche Rentner jährlich zu versorgen haben, sondern zudem aus ihrem jeweiligen Jahrgang rund 170 000 Unqualifizierte nebst Nachwuchs. Da hört dann die Vaterlandsliebe langsam auf, wie der Bremer Soziologe und Ökonom Gunnar Heinsohn schreibt.
Sie finden ferner heraus, dass ihre Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung maßgeblich von den Risiken individueller Lebensführung bestimmt werden, die sich mit Bewegungsarmut, ungesunder Ernährung, daraus folgender Dickleibigkeit und hohem Zigarettenkonsum - überrepräsentiert in einem bildungsfernen Milieu - von ihrem eigenen Lebensstil deutlich unterscheiden. Und dann stoßen sie noch auf einen Sachverhalt, der ihnen völlig fern, aber doch unheimlich erscheint: dass sie sich nämlich im Falle der Arbeitslosigkeit nach einem Jahr in ihrem sozialen Status als Hartz-IV-Empfänger wiederfinden können, obwohl sie jahrelang in die Arbeitslosenversicherung eingezahlt haben.
Diese Generation qualifizierter, medienkompetenter, mehrsprachiger und weltgewandter Absolventen von Hochschulen, Berufsakademien oder - in etwas geringerem Umfang - der dualen Ausbildung werden Auswege suchen, und zwar umso zielstrebiger, je mehr sie ihre Interessen politisch vernachlässigt sehen, während die Trompeten der Lobbys von Rentnern und
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