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Unterm Strich

Unterm Strich

Titel: Unterm Strich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peer Steinbrück
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erweisen, weil sie alle Beteiligten in ihre jeweiligen Schützengräben jagen. Halten wir uns lieber an Fakten oder belastbare Trends, beispielsweise die Tatsache, dass der Sozialstaat überwiegend von denen finanziert wird, die ein monatliches Bruttoeinkommen zwischen 1800 und 3400 Euro haben. Sie erbringen die Hälfte des gesamten Beitragsaufkommens zur Sozialversicherung und tragen es damit im Wesentlichen. Für den weitaus größten Teil von ihnen fällt die Abgabenbelastung weitaus stärker ins Gewicht als ihre Steuerbelastung.

    Es wird nicht mehr lange dauern, bis jeder zweite Wahlberechtigte in Deutschland Zuschüsse vom Staat erhält. 28 Millionen Transferempfänger, unter Berücksichtigung der Rentner, können bei Wahlen inzwischen den Ausschlag geben. Ihnen stehen, wie wir gesehen haben, annähernd ebenso viele sozialversicherungspflichtige Erwerbstätige mit ihren Arbeitgebern gegenüber, die mit ihren Abgaben den Sozialstaat finanzieren.
    Die Frage ist, ob die Politik abwartet, bis die Fakten die Wahrnehmungsschwelle überspringen, sich eine (schmerzhafte) Lösung suchen und sie zwingen, diese zu exekutieren - begleitet von Wellen der Empörung. Oder interveniert die Politik korrigierend, bevor die Kassen leer, die Lastesel sauer und die Transferempfänger eine organisierte Vetomacht im Wählerspektrum sind und der Sozialstaat paralysiert wird? Entscheidet sie sich für die Intervention, wird es mit ein paar Regelsätzen hier und der Veränderung von Bemessungsgrenzen dort, einer Schraubenwindung nach rechts oder links, einem Bypass oben oder unten, zeitlich befristeten Zuschüssen aus dem Bundeshaushalt oder Beitragserhöhungen - also einem Kurieren von Symptomen - nicht mehr gelingen, Abstand zur Rutschbahn zu halten. All das lässt nur neue Asymmetrien und Probleme entstehen, die einen weiteren Handlungsbedarf auslösen. Wer den Sozialstaat erhalten will, muss jedoch seine Rekonstruktion in Angriff nehmen.
Der vorsorgende Sozialstaat - eine Blaupause
    In der Summe dieses Kapitels will ich am Schluss die Bedingungen beschreiben, die ich für erforderlich halte, um den Sozialstaat zukunftsfähig zu machen. Die Skizze des vorsorgenden Sozialstaates stützt sich im Wesentlichen auf fünf Säulen:

    A. Erstens eine Familienpolitik, die den vordringlichen Akzent auf einen Ausbau der Kinderbetreuung setzt. Das ist der zentrale Zugang zu einer frühen Förderung gerade auch der Kinder aus einkommensschwachen und bildungsfernen Bevölkerungsteilen. Deshalb sind die Vorstellungen der CSU, es müsse kompensatorisch auch ein individuelles Betreuungsgeld (»Herdprämie«) für die Eltern gezahlt werden, die sich zu Hause um ihre Kinder kümmern, schlicht schwachsinnig, weil dies vor allem in jenen Schichten höchst willkommen sein und genutzt werden dürfte, die in der Addition diverser Kinderprämien ein »Erwerbsersatzeinkommen« sehen. Gerade die Kinder aus solchen Familien - ob mit einheimischem oder Migrationshintergrund - bedürfen dringend einer frühen Förderung, damit sie nicht später als Schulabbrecher oder ohne Berufsabschluss in die vorprogrammierte Verliererlaufbahn mit allen daraus folgenden sozialen Kosten rutschen. Die Engstirnigkeit, mit der sich hier erzkonservative Familienpolitik gegen alle Erkenntnisse stellt, ist weit mehr als ein Ärgernis.
    Der Ausbau der Kinderbetreuung ist gleichzeitig die Voraussetzung insbesondere für Frauen und noch spezifischer für alleinerziehende Frauen, dass sie Familie und Beruf miteinander vereinbaren können. Diese Überlegungen waren für mich wegweisend, als meine damalige Kollegin Ursula von der Leyen als Familienministerin und ich im Frühjahr 2008 mit den Ländern eine Bundesbeteiligung am Ausbau der Betreuung von Kindern unter drei Jahren verabredeten. Trotz der zusätzlichen Belastung des Bundeshaushalts und einer unmissverständlich klaren Zuständigkeit der Länder hielt ich eine Drittelbeteiligung in Höhe von 4 Milliarden Euro (neben den Ländern und Kommunen in jeweils gleicher Höhe) im Sinne einer vorsorgenden Sozialpolitik für richtig investiertes Geld. Allerdings ist die Umsetzung dieses Programms bis 2013 - in dem Jahr soll ein gesetzlicher Anspruch auf einen Betreuungsplatz für 35 Prozent der Ein- bis Dreijährigen in Kraft treten - enttäuschend. Skandalöse Züge nimmt die Umsetzung dort an, wo einzelne Länder ihren Drittelanteil zurückhalten oder ihren Kommunen aufbrummen. Ausgerechnet in meinem Stammland Nordrhein-Westfalen gibt es

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