Unterm Strich
Riester-Rente sein, eine Zusatzversicherung in der Gesundheitsvorsorge, der Erwerb einer kleinen Eigentumswohnung für mietfreies Wohnen im Alter oder eine risikogeschützte Anlage, für die man über Jahre - soweit möglich - etwas abgezwackt hat.
Organisatorisch wird sich der vorsorgende Sozialstaat dezentralisieren müssen. Um Missverständnissen vorzubeugen: Das bedeutet nicht, dass er privatisiert werden soll. Die Unsicherheit, die sich daraus ergäbe, würde ins Unermessliche gehen. Aber eine (Re-)Kommunalisierung dort, wo die Kommunen Vorteile im unmittelbaren Kontakt mit ihren Bürgern haben und zur Geltung bringen können, eine stärkere Förderung von Nachbarschaffen, Gemeinschaften und ehrenamtlicher Begleitung - darin wird sich zukünftig auch Sozialstaatlichkeit ausdrücken müssen.
Der skizzierte vorsorgende Sozialstaat ist etwas anderes als der vornehmlich fürsorgliche Sozialstaat. In ihrem Bestreben, die Umzingelung des Staates durch marktradikale und vulgärliberale Truppen abzuwehren, wittern manche Sozialpolitiker - die sogenannten Sopos - in dem Konzept eines solchen vorsorgenden Sozialstaates bereits Verrat. Sie neigen auch und gerade in meiner Partei zu einem Sozialstaatskonservatismus, ohne zu merken, dass sie damit diesen Sozialstaat umso eher auf Grund setzen und seinen Belagerern Munition liefern. Ihr Bild eines fürsorgenden, statusbewahrenden und Ansprüche kumulierenden Sozialstaates prallt auf sich wandelnde Realitäten, was diese nach aller Erfahrung ziemlich unbeeindruckt lässt.
Der langjährig gültige bundesrepublikanische Konsens lag in dem Versprechen, der Sozialstaat solle den sozialen Status jedes einzelnen Bürgers erhalten und ihm einen durchschnittlichen Lebensstandard garantieren. So wünschenswert das sein mag - es ist heute nicht mehr finanzierbar. Unter den heutigen und absehbaren Rahmenbedingungen werden damit Erwartungen und Ansprüche geweckt, an denen der Sozialstaat scheitern muss. Er kann dem gegenüber »nur« Ausfallbürge sein, der in Not- und Bedarfsfällen ein Existenzminimum für ein Leben in Würde sicherstellt. Nicht weniger als dieses Grundrecht muss erfüllt werden. Darüber hinaus muss er für Chancengerechtigkeit sorgen, das heißt die Startchancen derjenigen verbessern, die sich mit einem Rucksack voller Wackersteine auf den Weg ins Leben machen. Womit erneut der Bogen zu den zentralen Themen »Betreuung« und »Bildung« gezogen wird.
Dafür ist eine breite Schicht der Bevölkerung bereit, Solidarbeiträge zu zahlen, Kosten zu übernehmen, wenn sie gewährleistet sieht, dass diese zielgenau und mit nachhaltigen Ergebnissen eingesetzt werden. Nur so ist zu verstehen, dass mich über Einzelfälle hinaus Bürger mit der Ansage überrascht haben, sie würden durchaus höhere Steuern zahlen, wenn diese zweckgebunden und nachweispflichtig in das Bildungssystem investiert würden. Seitdem beschäftigt mich die Vorstellung einer Bildungsabgabe anstelle einer Steuererhöhung, wobei mir klar ist, dass solche Abgabenerhebungen engen verfassungsrechtlichen Auflagen unterliegen.
Diese Bereitschaft des solidarischen Teils der Gesellschaft muss die Politik pflegen - oder der Sozialstaat wird zur Beute seiner Belagerer.
Eine gelegentlich anzutreffende Verengung der (Sozial-)Politik auf die Befriedung und Befriedigung der Klienten des Sozialstaates verscheucht dagegen die »disponierenden Eliten« und den »produktivistischen Kern« der Gesellschaft, ohne die man in der Zugluft des 21. Jahrhunderts keine gestaltungsorientierte Mehrheit für den Erhalt der Sozialstaatlichkeit gewinnen kann.
Diese Begriffe stammen von keinem Geringeren als Peter Glotz, bei dem man schon weit vor den jüngsten Zuspitzungen, nämlich im Jahr 2003, nachlesen konnte: »Die sozialdemokratische Theorie des Sozialstaates und der sozialen Gerechtigkeit muss neu formuliert werden, und zwar nicht wegen temporärer Budgetprobleme oder irgendeines läppischen (aber von Deutschen erfundenen) Defizitkriteriums im >Stabilitätspakt< der EU. Vielmehr unterscheiden sich die Grundzüge des gegenwärtigen Zeitalters radikal von der Periode, in der der europäische Wohlfahrtsstaat konzipiert wurde.« Lassen wir das »läppische Defizitkriterium der EU« aus der Perspektive von 2003 einmal stehen. Es ist jedenfalls mehr als sieben Jahre her, dass dieser Vordenker der SPD ein Sozialstaatskonzept auf der Höhe der Zeit angemahnt hat und beispielsweise mit der Vorstellung aufräumte, »man müsse als
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