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Unterm Strich

Unterm Strich

Titel: Unterm Strich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peer Steinbrück
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dass der Mitgliederschwund die grundsätzliche Frage nach der Zukunft von Mitgliedsparteien in Deutschland im Gegensatz zu bloßen »Wahlvereinen« stellt.

    Die Globalisierung hat dem wirtschaftlichen Geschehen eine neue Dimension und Dynamik verliehen. Gleichzeitig haben die Erweiterung der internationalen Märkte mit neuen Akteuren, die zunehmende wirtschaftliche Verflechtung und die Auflösung von Raum- und Zeitgrenzen durch neue Informations- und Kommunikationstechnologien die Gestaltungsmacht nationaler Politik viel stärker eingeschränkt, als das bisher im öffentlichen Bewusstsein angekommen ist. Die Politik selbst hat sich auf diesen »Relevanzverlust« (Herfried Münkler) bisher kaum eingestellt. Ihre Macht im öffentlichen Raum erscheint unverändert stark, weil sie den Bürgern die Einschränkungen ihrer Reichweite durch globale Prozesse bisher nicht vermittelt hat, selbst dort nicht, wo im Zuge der europäischen Integration aus freien Stücken souveräne Rechte an supranationale Institutionen abgetreten wurden. Die Bürger richten ihre Erwartungen und Ansprüche aber weiterhin, wenn auch mehr oder minder verdrossen, an die aus ihrer Sicht nach wie vor zuständige Adresse - an die nationale Regierung.
    Die Politik sollte mit dem Eingeständnis beginnen, dass ihre nationalstaatlichen Steuerungsmöglichkeiten abgenommen haben und weiterhin abnehmen werden. Sie sollte sich nicht länger potenter geben, als sie tatsächlich ist. Wenn Politik weiterhin so tut, als könnte sie sämtliche Dinge regeln, aber in dem Moment, wo es darauf ankommt, ohnmächtig dasteht, verliert sie ihre Glaubwürdigkeit vollends. In diesem Widerspruch zwischen Anspruch und Wirklichkeit wird sie zermahlen. Also muss sie sich selbst ehrlich machen und den Menschen erklären, was sie bewirken kann und was sich ihrer Beeinflussung weitgehend entzieht. Sie muss einer weiteren Eskalation der Erwartungen und Ansprüche der Bürger entgegentreten und eine offene Debatte über die Finanzierbarkeit staatlicher Leistungen anstoßen. Sie muss einräumen, dass sie keinen umfassenden Schutz gegen die Folgen des globalen und technologischen Wandels bieten kann, weil jeder Versuch, auf der nationalstaatlichen Ebene zu entschleunigen, während sich um uns herum die Verhältnisse rasant verändern, früher oder später zu Zerreißproben führt. Politik muss sich vielmehr darauf verlegen, die Menschen für den Wandel zu befähigen, sie muss »Wandelkompetenz« vermitteln.
    Einfluss und Gestaltungsmacht gewinnt Politik nur noch, wenn sie sich international koordiniert und organisiert. So paradox es klingt: Der Relevanzverlust auf der nationalen Ebene lässt sich nur mit einem weiteren bewussten Verzicht auf nationalstaatliche Instrumente - also mit dem Ausbau der Integration auf internationaler Ebene - kompensieren.
    Wirtschaftsunternehmen organisieren und orientieren sich längst global. Nicht nur Großunternehmen, auch exportorientierte Mittelstandsunternehmen betreiben Produktion, Zulieferungen, Finanzierung, Vertrieb und Logistik in internationalem Maßstab. Sie vergleichen Standorte nüchtern unter Wettbewerbsaspekten und trachten danach, jedes Gefalle im Sinne ihrer Unternehmensstrategie zu nutzen. Sie entziehen sich geschickt national gesetzten Regeln und Standards, verfügen aber ihrerseits über einen erheblichen Einfluss auf Standorte und die jeweilige nationalstaatliche Rahmensetzung, indem sie mit Abwanderungen oder Verlagerungen drohen können. Es wäre naiv, zu glauben, dass diese Entwicklung umkehrbar ist.
    Die Politik müsste also nachvollziehen, was ihr durch eine beschleunigte wirtschaftliche und technologische Entwicklung vorgegeben wird. Darin liegt aber zugleich das Eingeständnis, dass sich die Globalisierung der Ökonomie eine Vorrangposition gegenüber der Politik verschafft hat. Macht hat sich vom politischen System zum wirtschaftlichen System verlagert und die Politik in erhebliche Legitimationsprobleme gebracht. Während sie noch so tut, als wäre sie zumindest auf dem heimischen Spielfeld Herr des Geschehens, spürt die Öffentlichkeit längst, dass es neben Regierung und Parlament auch demokratisch nicht legitimierte Institutionen und Kreise gibt, die auf die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse erheblichen Einfluss ausüben. Das ist für viele Bürger nirgends deutlicher geworden als in der Finanzmarktkrise. Tatsächlich bilden die Banken das am stärksten globalisierte System mit der größten Dynamik und

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