Unterm Strich
mit Bilanzvolumina, die um ein Vielfaches über denen der Realwirtschaft und der dort gehandelten Werte liegen. Dieses System hat sich nicht nur der Reichweite nationaler Politik weitestgehend entzogen, sondern es auch auf der internationalen Ebene zu verhindern gewusst, dass vorsorglich ein regulatorischer und aufsichtsrechtlicher Rahmen etabliert werden konnte, der dieser Krise einen großen Teil ihrer Schärfe hätte nehmen können.
Die Finanzkrise führte jedermann klar und deutlich vor Augen, dass die Politik der Dynamik wirtschaftlicher Prozesse hinterherhinkt und dass es ihr - jedenfalls bisher - nicht gelungen ist, in internationalen oder supranationalen Institutionen Spielregeln zu verabreden, die eine Beschädigung souveräner Staaten und ganzer Staatengemeinschaften verhindern oder jedenfalls minimieren. Aber nicht nur Exzesse auf den Finanzmärkten und Spekulationen, auch Steuerhinterziehung, Geldwäsche, organisierte Kriminalität, Lohn- und Sozialdumping, Umweltverschmutzung, Verletzung von Sicherheitsanforderungen oder der Raub geistigen Eigentums müssten ein international organisiertes Widerlager auf politischer Ebene finden. Die Fortschritte, die in Organisationen wie der WTO, OECD, ILO, EU oder dem IWF erzielt werden konnten, sollen nicht geringgeachtet werden. Aber gemessen an den tatsächlichen und potenziellen Schäden sind sie Stückwerk und unzureichend. Fortschritte scheitern an divergierenden Interessen der Staaten. Die Gegenspieler sind besser aufgestellt.
Meine Skepsis, dass sich an dieser Situation qualitativ und in überschaubarer Zeit etwas ändert, kann ich nach den Erfahrungen diverser internationaler Sitzungen und Konferenzen nicht ganz leugnen. Dennoch halte ich daran fest: Es bleibt nur der Weg, politisch nachzuholen, was die Ökonomie bereits vollzogen hat - die Internationalisierung. Es gibt keine andere Chance, als in internationalen Organisationen und Gremien - auch mit Unterstützung sogenannter Nichtregierungsorganisationen - beharrlich und mit langem Atem Verkehrsregeln zu formulieren und Leitplanken aufzustellen, die der Zügellosigkeit und Hemmungslosigkeit der Ökonomie Einhalt gebieten und der Politik Einflussmöglichkeiten zurückgeben.
Deshalb darf der nicht selten anzutreffenden Geringschätzung gegenüber internationalen Institutionen und Konferenzen kein Raum gegeben werden. Die deutsche Politik muss vielmehr auf eine Verbesserung der Arbeitsgrundlagen, die Verbindlichkeit der Beschlüsse sowie eine allgemeine Stärkung der Autorität und Durchschlagskraft dieser Institutionen hinwirken. Wir Deutschen müssen dort, von der Spitze bis in die unteren administrativen Ebenen, mit dem besten Personal vertreten sein, das wir dafür gewinnen können. Heute sind wir unterrepräsentiert und, was die Qualität unserer Spitzenvertreter angeht, nicht immer auf Augenhöhe mit anderen Ländern; jüngeren Mitarbeitern bieten wir zu wenig Anreize, auf Zeit in internationale Institutionen zu wechseln.
Die wichtigste Organisation in dem Bemühen, den Verlust nationalen Einflusses durch einen Zugewinn an Bedeutung auf internationaler Ebene zu kompensieren, ist und bleibt für Deutschland die EU. Auf ihre Stabilität und Handlungsfähigkeit ist alle Energie deutscher Politik zu richten, wenn wir geopolitisch als Mitspieler noch wahrgenommen werden und der Politik Gestaltungsspielräume zurückgewinnen wollen. Dies gilt auch und gerade deshalb, weil es um die EU zurzeit nicht so bestellt ist, wie es wünschenswert wäre.
Bremsklötze des Föderalismus
In Berlin sitzt eine mächtige Regierung, die zum Nutzen und Frommen des Landes schalten und walten könnte, wenn sie denn mit fähigen Frauen und Männern besetzt wäre und die sie tragenden politischen Kräfte Einigkeit und Handlungsfähigkeit unter Beweis stellten. Das ist eine verbreitete Vorstellung. Abgesehen davon, dass über die Erstklassigkeit des politischen Personals gestritten werden darf und Koalitionsregierungen keineswegs in allen Fragen einig sein müssen, liegt dieser Vorstellung ein wirklichkeitsfremdes Bild unseres politischen Systems zugrunde. Neben dem föderalen politischen System selbst wirken auf die eine oder andere Weise Wirtschaftsverbände, Gewerkschaften, Medien, Kirchen, Nichtregierungsorganisationen und nicht zuletzt eine ganze Beratungsindustrie mit.
An diesem Trugbild einer allmächtigen Zentralregierung in Deutschland hat die Politik allerdings selbst kräftig mitgewirkt. Sie ist ihm zumindest nicht
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