Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Unterm Strich

Unterm Strich

Titel: Unterm Strich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peer Steinbrück
Vom Netzwerk:
entschieden genug entgegengetreten. Zu groß war und ist die Versuchung, sich bei der Rettung von Unternehmen, beim Kampf um die Benzinpreise oder auch mit dem Versprechen von Steuersenkungen als omnipotent darzustellen und darüber Wählerstimmen zu gewinnen. Solange sich die Politik als Heilsbringer feiern lässt und nicht einräumt, dass sie in einem demokratischen, föderalen und pluralistischen System nur eine, wenn auch wesentliche Kraft unter mehreren ist und häufig widrigen Realitäten unterliegt, wird sie im Missverhältnis zwischen Erwartungen und Ergebnissen weiterhin an Ansehen verlieren.
    Die Steuerungsmöglichkeiten der Politik sind in Deutschland maßgeblich durch das föderale System bestimmt. Dies entspricht unserer geschichtlichen Entwicklung, der daraus resultierenden kulturellen Vielfalt und landsmannschaftlichen Zugehörigkeiten. Die Frage, ob dazu auf Dauer 16 unterschiedlich große und kräftige Länder erforderlich sind, greife ich hier nicht auf; als derjenige, der 1998 (angeblich im Eiltempo) den Nordstaat aus der Taufe heben wollte, bin ich ein gebranntes Kind. Steigt der Druck im Kessel der Probleme - so wage ich vorherzusagen -, dann wird das Thema der Neuordnung des Bundesgebiets und eine Verringerung der Anzahl der Länder von ganz allein die politische Tagesordnung erklimmen. Die Ersten, die das Thema aktiv vorantreiben, werden zwar im Ritual des Abscheus und der Empörung zurechtgestutzt. Aber irgendwann suchen sich Probleme selbst eine Lösung - und die Politik eilt hinterher.
    Das Prinzip des Föderalismus ist in den Augen der Bürger keineswegs so positiv besetzt, wie dies insbesondere die Ministerpräsidenten der Länder glauben. Der deutsche Föderalismus ist hochkomplex, seine Funktionsweise, insbesondere die Mechanismen des Finanzausgleichs, verstehen nur wenige. In den anderthalb Minuten eines Tagesschau-Beitrags kann ihn kein Politiker erklären. Er ist aber nicht nur hochkomplex, sondern auch verhältnismäßig teuer. Die Kosten des Föderalismus wären gut investiert, wenn seine Vorteile einen entsprechenden Gegenwert bieten würden. Dies ist allerdings fraglich. Ja, man darf Zweifel anmelden, ob der Föderalismus in Deutschland angemessene Voraussetzungen zur Bewältigung der vor uns liegenden Probleme bietet oder ob er nicht tendenziell eher paralysierend wirkt.
    Als jemand, der sowohl als Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen auf der Bundesratsbank als auch auf der Bank der Bundesregierung gesessen hat, hoffe ich, gegen Einseitigkeiten immun zu sein. Bisher sehe ich allerdings meine Einschätzung nicht widerlegt, dass die Föderalismuskommissionen I und II zwar Verdienste erworben, aber mindestens zwei große Strickfehler eingebaut und das Ringen um einen funktionsfähigen Föderalismus letztlich vertagt haben. Als Mitglied in beiden Kommissionen fällt das Versäumnis auch auf mich selbst zurück. Es sei mir deshalb erlaubt, hier ein wenig ausführlicher auf die Probleme einzugehen.
    Der Konstruktionsfehler der Föderalismuskommission I vom Juni 2006 liegt darin, dass dem Bund Kompetenzen in der Hochschul- und Bildungspolitik weitgehend bestritten und abgenommen wurden. Dies steht in einem merkwürdigen Gegensatz zu der von den Ländern für selbstverständlich gehaltenen Forderung, dass sich der Bund mit erheblichen Finanzmitteln an Bildung und Hochschulen beteiligt. Und zwar nicht zu knapp. Was der Bund auch tut: Wenn ich an die Zuschüsse für den Ganztagsunterricht in Grundschulen, die Betreuung für unter Dreijährige und die Programme im Hochschul- und Forschungsbereich - den Hochschulpakt 2020, die Exzellenzinitiative und den Pakt für Forschung und Entwicklung mit über 1 Milliarde Euro jährlich - denke, kommen erhebliche Summen zusammen.
    Dieser Finanzierungsbeitrag des Bundes wird sich, den Notwendigkeiten folgend, weiter erhöhen müssen. Erstens, weil Bildungsinvestitionen ein Schlüssel für die Zukunft des Landes sind und diese objektiv ohne einen steigenden Beitrag des Bundes nicht annähernd das angestrebte Niveau von 7 Prozent der Wirtschaftsleistung erreichen (plus den 3 Prozent für Forschungs- und Entwicklungsinvestitionen, mit denen wir endlich auf einen internationalen Spitzenstandard kämen). Und zweitens, weil die Länder bei strittigen Gesetzgebungsvorhaben immer den langen Hebel im Bundesrat bedienen und dem Bund ohne finanzielle Gegenleistungen schlicht ihre Zustimmung verweigern. So läuft das politische Spiel - unabhängig von der

Weitere Kostenlose Bücher