Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Unterm Strich

Unterm Strich

Titel: Unterm Strich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peer Steinbrück
Vom Netzwerk:
wölbt sich eine Glocke hoher Empfindlichkeit. Die Medien fühlen sich permanenten Angriffen auf die Pressefreiheit und ihre Berichtspflicht ausgesetzt. Ihre physischen Quellen - sei es ein »Vertrauter« des Ministers oder die Kopie einer Kopie des Vermerks aus dem ministeriellen Referat V A 4 - und ihre unsichtbaren Quellen, aus denen Zitate und Tatsachenbehauptungen geschöpft werden, stehen immer außer Zweifel. Die Politik wiederum wittert überall mediale Kampagnen und Hinrichtungen. Das verbreitete Phänomen der politischen Inkontinenz - der Indiskretion aus mörderischem Kalkül oder sabbeliger Redseligkeit - ist eine Erfindung von Hinterbänklern, die darunter leiden, dass sie nicht gefragt werden. So ähnlich, wie ein Kölner auf die Frage, was der Kölner Klüngel sei, die Antwort gab: Das sei eine Erfindung von Leuten, die nicht mitmachen.
    Der Kommunikationswissenschaftler Lutz Hachmeister hat das Feld, auf dem sich Politik und Medien begegnen, als »nervöse Zone« beschrieben.
    Über die fundamental wichtige Funktion einer freien Presse in einer demokratischen und offenen Gesellschaft ist alles gesagt worden. Sie lässt mich gut schlafen, weil sie aufpasst, dass nachts kein Söldner eines Diktators oder Kommissar eines Politbüros an meiner Tür klingelt.
    Wir leben in einer Gesellschaft, die sich immer weiter ausdifferenziert und trotzdem ihren Zusammenhalt organisieren muss. Dieser entsteht auch und gerade über Kommunikation. Eine moderne Gesellschaft unserer Größenordnung, Komplexität und Dynamik kann ohne Medien nicht wirkungsvoll kommunizieren. Es gibt einen engen Zusammenhang zwischen einer funktionierenden, aufklärenden Massenkommunikation und einer toleranten, konfliktgeübten und zukunftsfähigen Gesellschaft. Deshalb ist es von zentraler Bedeutung, ob die Absender und die Transporteure von Politik eine gesellschaftliche Selbstverständigung befördern oder erschweren, wenn nicht gar durchkreuzen.
    Dabei gibt es »die« Medien ebenso wenig wie »die« Politik oder »die« Banker, auch wenn von ihnen weiterhin summarisch die Rede ist. Medienunternehmen unterliegen nicht weniger als alle anderen Bereiche von Wirtschaft und Gesellschaft einem ökonomisch-technischen Wandel, der allerdings weitreichende Auswirkungen auf ihr Wächteramt und im Besonderen den Qualitätsjournalismus hat. Ebenso unterliegen sie derselben betriebswirtschaftlichen Räson wie alle anderen Unternehmen, selbst wenn sich ihr »Produkt« von Gummibärchen unterscheidet und für die demokratische Substanz unseres Gemeinwesens von zentraler Bedeutung ist. Der Wettbewerbsdruck in dieser Branche ist hoch, zumal sich nur wenige Presseprodukte allein aus ihren Vertriebserlösen finanzieren lassen.
    Dieser Wettbewerbsdruck befördert Rationalisierungen und Konzentrationsprozesse, die allerdings das hohe und verfassungsrechtlich in Artikel 5 des Grundgesetzes verankerte Gut der Meinungsfreiheit ramponieren können. Eine freiheitliche Debatte, die Grundvoraussetzung für einen demokratischen Meinungs- und Willensbildungsprozess, kann nur durch Meinungsvielfalt gewährleistet werden. Da die nicht verfassungsrechtlich normiert ist, muss der Staat sie erhalten. Er darf sie nicht dem »Darwinismus des Marktes« überlassen, der auf Fusionen in der Presselandschaft drängt und eine Konzentration in einigen wenigen Medienhäusern mit einer Oligopolstellung in der Berichterstattung über Politik und Gesellschaft für die höchste Entwicklungsstufe hält.
    Nun steigert die Digitalisierung als technologischer Hebel des Wandels diesen Wettbewerbsdruck noch. Aber sie hat gleichzeitig mit dem Internet eine neue Plattform geschaffen und weiter ausgebaut, die mit wachsendem Zulauf darauf hinwirkt, dass die Bereitstellung und der Abruf von Informationen »demokratisiert« werden. Die »Kombination aus Bürgerjournalismus und stiftungsfinanzierten Investigativfonds« (Miriam Meckel) verschafft den Medienunternehmen eine ungeahnte Konkurrenz - und durchlöchert ihre Machtposition. Die Redaktionen der klassischen Medien von Presse, Funk und Fernsehen verlieren darüber - auch unter Berücksichtigung ihrer eigenen digitalen Formate - an Deutungshoheit. Die Informationsfreiheit und -Vielfalt nehmen zu.
    Ein Teil des professionellen Journalismus wechselt sogar die Seiten und bedient die Webblogs im Internet mit Informationen und Recherchen, zumal dort, wo seine Beiträge von den herkömmlichen Print- und elektronischen Medien aus politischen

Weitere Kostenlose Bücher