Unterm Strich
gegen Deutschland zuschlagen. Vor dem Hintergrund der moderaten Effektivbelastung der oberen Einkommen, ihrer relativen Besserstellung bei den letzten Steuerreformen, der wachstumstimulierenden Entlastung breiter Schichten mit geringen Sparquoten und nicht zuletzt mit Blick auf eine gerechtere Verteilung der Lasten in der Wirtschafts- und Finanzkrise halte ich es für gerechtfertigt, den Besser- und Spitzenverdienern einen höheren Beitrag zur Finanzierung öffentlicher Aufgaben abzuverlangen. Insbesondere dann, wenn die Beiträge in ein Steuer- und Abgabensystem fließen, das den Anforderungen der Fairness, der Anreizwirkung und Wachstumsförderung mehr entspricht als der Status quo. Von der Streichung beziehungsweise Kürzung von Steuervergünstigungen bis hin zu einem höheren Spitzensteuersatz stehen mehrere Varianten zur Verfügung. Und dazu muss man nicht den Mythos bemühen, dass die »Reichen« in Deutschland steuerlich so glimpflich behandelt würden.
VI - Eine delikate Beziehung: Politik und Medien
Die unzähligen Moderatorinnen, die der Republik täglich außer montags (da ist nur Beckmann zu sehen) ein Problem präsentieren - ein echtes oder scheinbares -, gewinnen spielend Politiker jedweder Couleur als Gäste, weil diese Medienpräsenz für den Generalschlüssel zum (persönlichen) Erfolg halten. Tatsächlich garantiert Medienpräsenz ohne substanzielle Aussagekraft und persönliche Integrität keineswegs eine besondere öffentliche Beachtung, geschweige denn Achtung, was die schlechten Persönlichkeitswerte der wandelnden politischen Talkrundenrekordteilnehmer hinreichend belegen. Substanz allein ohne prominentes Gesicht mag sich in einer Mediendemokratie nicht durchsetzen. Aber nur Gesicht ohne Substanz und Persönlichkeit reicht eben auch nicht.
Unabhängig davon, dass Talkshows gelegentlich den Unterschied zwischen Talent und Ehrgeiz von Politikern zu dokumentieren vermögen, hinterlassen die unablässige Beleuchtung und Zerstückelung aller Probleme - vom Umfeld eines Amokläufers bis zum drohenden Währungskollaps - beim Publikum den Eindruck einer weitgehenden politischen Ohnmacht. Denn jede dieser Talkshows erweist sich für die Zuschauer als folgenlos, wenn dasselbe Thema wenige Wochen später mit eventuell denselben Politikern, aber gewiss denselben Fragen der Moderatorinnen erneut aufgerufen wird - zwischenzeitlich jedoch nichts geschehen ist. Ob das objektiv überhaupt möglich gewesen wäre, steht auf einem anderen Blatt. Die Politik kaut diverse Probleme gegebenenfalls zum wiederholten Mal in den Talkshows durch - ohne Konsequenzen.
Ob es Palaver im Fernsehen, andauernde verbale Gipfelbesteigungen oder mit Phrasen gespickte Reden sind - die Bürger haben den Glauben an die Macht des politischen Wortes verloren, das die Verhältnisse wahrhaftig beschreibt und dem Taten folgen. Politik hat Ansehen und Glaubwürdigkeit eingebüßt, weil zwischen Reden und Handeln kein Zusammenhang mehr zu bestehen scheint, weil die Inszenierungen nur auf momentane Aufmerksamkeit zielen.
Auf die Erosion ihrer Gestaltungsmacht im nationalstaatlichen Radius und ihre verblassende Ausstrahlung auf die Wählerschaft hat die Politik bisher kaum mit einer Änderung ihrer Programm- und Partizipationsangebote, ihrer Organisation, ihrer Veranstaltungsformate oder Kommunikation reagiert. Sie kompensiert ihren schwindenden Einfluss und ihren Verlust an Vertrauen und Zutrauen bei den Bürgern durch mediale Inszenierungen. Die betreibt sie aktiv, und sie ergibt sich ihnen zugleich. Denn sie paktiert mit einer Branche, deren Gepflogenheiten und wirtschaftliche Verwertungsinteressen weitgehend darauf ausgerichtet sind, alles und jeden nach dem Unterhaltungswert zu vermessen und zu präsentieren. Einschaltquote und Auflage geben den Takt an.
Es gibt kaum ein Verhältnis, das so spannend und spannungsreich ist wie das zwischen Medien und Politik. Beide brauchen einander wie Braut und Bräutigam - und ergehen sich wechselseitig geradezu wollüstig in ihren einander abstoßenden Eigenheiten. Magische Anziehungskraft und ostentative Abgrenzung, wechselseitige Anerkennung des jeweiligen Reviers und bedenkenlose Instrumentalisierung, dem Ethos der Aufklärung verpflichtet und dem Unterhaltungsspektakel zugeneigt, Alphatiere und Knallchargen auf beiden Seiten, gemeinsam hellhörig für Verschwörungen und Gerüchte der absurdesten Art - all das trifft sowohl auf die politische als auch die erklärende Klasse zu. Darüber
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