Unterm Strich
den enormen Schmerzen, die alle Steuerzahler an den fünf vorgeschlagenen Sprungstellen zu erleiden hätten. Nein, die Lösung liegt, vereinfacht ausgedrückt, in einer aufkommensneutralen Reform, die den Tarif abflacht und in die Länge zieht. Das heißt konkret, den Spitzensteuersatz von 42 Prozent zu erhöhen - man muss sich nicht die 53 Prozent aus den seligen Zeiten von Helmut Kohl zum Vorbild nehmen -, ihn aber erst von einem sehr viel höheren Jahreseinkommen als 52 900 Euro an greifen zu lassen.
Eine Lösung dieser Art kollidiert freilich mit den verteilungspolitischen Vorstellungen derjenigen, die den Mythos der zu hohen Steuerbelastung pflegen, um so eine politische Legitimation für ihre Wählerklientel zu erlangen. Nach all den Versprechungen und apodiktischen Auftritten würde sich diese Wählerklientel bei einer solchen Lösung natürlich frustriert abwenden. Deutlich wird allerdings auch, dass es den Urhebern dieses Mythos nie um eine verteilungspolitisch ausgewogene und gerade in schwierigen Zeiten haushaltspolitisch verträgliche Lösung ging, sondern um ein ideologisch vorbereitetes Glacis, auf dem ein Gruppeninteresse möglichst ohne Radau bedient werden kann.
Ein zweites unbestrittenes Kernproblem ist die verhältnismäßig hohe Last der Sozialversicherungsabgaben, die im unteren Einkommensbereich weit stärker durchschlägt als in den teilweise weit über der Beitragsbemessungsgrenze liegenden oberen Etagen. Sie ist Ausdruck der Finanzierung unseres Sozialstaates überwiegend durch Abgaben statt durch Steuern - mit all den damit verbundenen Problemen. Die Argumente für eine stärkere Steuerfinanzierung der Sozialsysteme erscheinen mir kaum widerlegbar. Dies praktisch zu bewerkstelligen ist eine Titanenaufgabe.
Die Tatsache, dass die deutsche Steuerquote unterhalb des Durchschnitts der OECD-Länder liegt, könnte einen weiteren, allerdings weniger stark verbreiteten Mythos auf den ersten Blick bestätigen. Die Saga vom linken Rand des politischen Spektrums will uns weismachen, dass die »Reichen« in Deutschland zu wenig Steuern zahlen - wobei erst einmal offenbleibt, ab welchem Einkommen denn Reichtum beginnt. Mit dieser Mär will die Linke politische Geltung erlangen, um eine nahezu prohibitive Einkommensbesteuerung mit Spitzensteuersätzen von mindestens 53 Prozent - plus einer Vermögensteuer - durchzusetzen.
Da die Geschichte gern zusätzlich mit dem Thema der Steuerhinterziehung und des Steuerbetrugs aufgeladen wird, das mir nicht fremd ist, bestätige ich vorab, dass solche Delikte nicht von der alleinerziehenden Krankenschwester oder dem Facharbeiter mit zwei Kindern begangen werden. Die finden ihr Gehalt erst nach Abzug der Steuern auf ihrem Konto. Es sind die oberen Einkommensbezieher, die Steuerhinterziehung für ein Kavaliersdelikt oder sogar für einen sportlichen Wettkampf mit dem Finanzamt halten. Der jährliche materielle Schaden für das deutsche Gemeinwesen bewegt sich im hohen Milliardenbereich. Der gesellschaftliche Flurschaden ist nicht messbar. Wenn sich die Ehrlichen für die Dummen halten und sich in einer Krise die Frage nach einer fairen Verteilung drohender Lasten und Einschnitte verschärft stellt, dann sollte niemand das Gift der Steuerhinterziehung bagatellisieren oder sich mit den hilfreichen und diskreten Dienstleistern solcher Operationen gemeinmachen.
Meine Schweizer Attacken und die Ausflüge in die afrikanische Geographie mögen einer überschäumenden Freude an Bildern und lautmalerischen Namen entsprungen sein - diplomatischen Gepflogenheiten entsprachen sie sicher nicht. Die Empörung allerdings, die mancherorts einige Oktaven zu schrill - auch auf dem politischen Parkett in Deutschland - entfacht wurde, sollte auch ein schlechtes Gewissen verbergen, das sich angesichts tatkräftiger Mithilfe und langjähriger Leisetreterei zu diesem kriminellen Vorgang der Steuerhinterziehung und des Steuerbetrugs rührte. Tatsächlich hat deren Bekämpfung nicht nur über (provozierende) Worte, sondern insbesondere durch Taten erhebliche Erfolge erzielt. Daran haben maßgeblich nicht nur deutsche Steuerbehörden, sondern auch US-Steuerbehörden und -Gerichte, die französische Regierung und die OECD unter ihrem Generalsekretär Angel Gurria mitgewirkt.
Zurück zum Mythos der zu geringen Besteuerung der »Reichen«. Auch er verliert seine Ausstrahlung durch trockene Statistik. Das oberste Einkommensdezil in Deutschland, also die 10 Prozent mit den höchsten Einkommen,
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