Unterm Strich
in der Bonner Republik noch am Kiosk gegenüber von Bundesrat und Bundestag traf, Neuigkeiten austauschte und sacken ließ. Der Historiker und Publizist Nils Minkmar nennt das die »akustische Möblierung des öffentlichen Raumes«, an der Politiker selbstredend beteiligt sind.
Um in der Nachrichten- und Reizüberflutung überhaupt noch Aufmerksamkeit zu finden, werden Gelegenheiten gesucht und gefunden, schon ein leidliches Fehlverhalten oder eine leichte Abweichung von einer Norm zum Skandal zu stilisieren. Der kann dann mehrere Tage ausgebeutet werden. Contergan, die Spiegel-Affäre, Neue Heimat, die Memminger Abtreibungsprozesse oder die CDU-Spendenaffäre, das waren Skandale in der Geschichte der Republik. Heute sind wir von Skandälchen umzingelt. Ihre inflationäre Bemühung führt eher zu einer Immunisierung gegenüber wirklich schreienden Ungerechtigkeiten oder Verantwortungslosigkeiten.
Sinn dieser schrillen, häufig eine Oktave zu hohen Tonlage von Medien ist es, Empörung zu entfachen, die mit Nachtisch bedient werden will. Dafür brauchen sie einen Anlass. Ein Skandal ist ideal. Aber es reicht auch schon eine politische Tabuverletzung. Was das ist, definieren Medien selbst. Sie wird zu einer saftigen Provokation hochgeheizt. Deshalb umgarnen Medien gern den Provokateur - um ihn anschließend der Verdammnis auszusetzen.
Dieses Zusammenspiel von Provokation und Empörung ist ein Kennzeichen unserer Mediendemokratie.
Jenseits streitwürdiger Fragen, wie zum Beispiel die der Verstaatlichung der Hypo Real Estate Bank oder einer Abwrackprämie für Autos, und schnell vergessener künstlicher Aufgeregtheiten in der Tagespolitik erinnere ich mich an drei politische Flanken meinerseits, die einige Medien während meiner Amtszeit als Bundesfinanzminister in Provokationen verwandelten, um die anschließende öffentliche Empörung zu nutzen.
Im August 2006 gab ich dem TV-Magazin Hörzu ein Interview, in dem ich auf die unabweisbar drohende Problematik einging, dass die gesetzliche Rente kommenden Rentnergenerationen keinen auskömmlichen Lebensstandard mehr garantiert. Wörtlich sagte ich: »Die Menschen werden sich zum Beispiel darauf einstellen müssen, in den nächsten Jahrzehnten mehr Geld für Alter, Gesundheit und Pflege auszugeben. Das heißt: Wir müssen im Zweifel auf eine Urlaubsreise verzichten, um für später vorzusorgen. Wenn Sie so etwas verkünden, können Sie öffentlich ganz schön verhauen werden.« Genauso kam es. Ein Aufschrei der Empörung brach los. Der Sozi Steinbrück schreibt dem deutschen Volk seine Urlaubsgewohnheiten vor. Diese Empörung hätte aber kaum einen Siedepunkt erreicht, wenn es nicht in den eigenen Reihen namhafte Vertreter gegeben hätte, die mit einem weichen Rückgrat als Stichwortgeber auftraten. Stattdessen hätten auch sie den Kern des Problems herausstellen können, dass die zukünftige Altersversorgung allein auf der Basis des jetzigen Rentenversicherungssystems unausweichlich an Grenzen stoßen wird und Zukunftsvorsorge auf den Verzicht auf Gegenwartskonsum hinausläuft.
Im April 2007 wagte ich es doch tatsächlich, den Planungen meiner Frau für eine vierzehntägige Reise nach Namibia zu folgen, zu der sie zu Ehren einer Erblasserin die ganze Familie eingeladen und die sie nahezu ein Jahr lang vorbereitet hatte. Deshalb sagte ich meine Teilnahme an dem Frühjahrstreffen des Internationalen Währungsfonds in Washington ab und schickte stattdessen meinen Staatssekretär. Das aber war wie Schuleschwänzen. Diese Geringschätzung deutscher Präsenzpflicht war eine willkommene Schelle, die mir ans Bein gebunden werden konnte. Zwar führte ich mit vielen der Teilnehmer alle acht Wochen Gespräche, und Journalisten, die das Ritual dieser Frühjahrs- und Herbsttagungen des IWF vor der Finanzkrise kannten, schmunzelten, wenn davon die Rede war. Aber egal, der Ball lag auf dem Elfmeterpunkt. Dementsprechend recherchierten Bild und BamS in Namibia ziemlich klebrig hinter mir her, erwischten mich aber erst bei unserer Rückkehr auf dem Frankfurter Flughafen, »schössen« mich fotografisch ab und präsentierten der deutschen Öffentlichkeit den »Safari-Minister«. Der Spiegel fand das auch ganz süffig und widmete diesem Vorgang tatsächlich eine Story.
Auf dasselbe Antennennetz stieß zum Entsetzen meiner Partei wenige Wochen vor der Bundestagswahl meine Einlassung in einem Interview im Juli 2009, es gehe der jetzigen Rentnergeneration insgesamt so gut wie nie zuvor.
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