Unterm Strich
wichtiger als orthodoxe Lehrmeinungen. Diese Interpretation drängt sich jedenfalls nach dem Absturz der FDP in der Wählergunst auf.
Insofern dürfte die Partei von zwei Seiten bald wieder eingefangen und auf Normalmaß gestutzt werden. Zum einen wird ihr ideologischer Überschuss - neben dem Bedeutungsüberschuss ihres Vorsitzenden - von den Ursachen und Folgen der Finanz- und Wirtschaftskrise eingefangen. Ihre Marktversessenheit ist durch die Krise längst falsifiziert. Auch wird sich die Welle der Privatisierung von kommunalen und staatlichen Unternehmen verlaufen, weil eine Mehrheit der Bevölkerung ihre Grundversorgung mit Infrastrukturleistungen nicht unter rein betriebswirtschaftlichen Kalkülen gewährleistet sehen will. Zum anderen wird ihre Wirklichkeitsferne gegenüber zwingenden ökonomischen Daten die FDP entweder in einen unüberbrückbaren Gegensatz zu den Erfordernissen des Regierungshandelns manövrieren oder sie sehr hart auf dem Boden unabweisbarer Tatsachen aufschlagen lassen.
Die Ausnahme im Kreis der etablierten Parteien ist die Linkspartei. Sie ist über ihre Wurzeln als klassische sozialistische Einheitspartei ideologisch so weit aufgeladen und zugleich von außen- und wirtschaftspolitischen Realitäten so weit entfernt, dass sie von einer Revision ihres Programms zerrissen würde. Sie hält die Luken gegen die Außenwelt stattdessen lieber weiterhin fest geschlossen und sichert sich ihre Identität als reine Protestpartei. Dass sie dabei den Anschluss an den Wandel verpasst, ist ihr ziemlich gleichgültig, Hauptsache, die Korsettstange der Rechtgläubigkeit hält. Die Linkspartei setzt darauf, die Verlierer des Wandels einsammeln zu können.
Nach diesem kurzen Ausflug zurück zu den fünf bürgerlichen Parteien, deren Programmangebote sich in einem sehr eingeschränkten Korridor bewegen und nur wenige unterschiedliche Akzente zu setzen vermögen. Keine Partei wird mehr den Notstand oder den Untergang der Republik projizieren können, sollte die konkurrierende Partei die Regierung übernehmen. Das glaubt nur noch eine verschwindend geringe Zahl politisch Hartgesottener. Die SPD musste diesen Irrtum teuer bezahlen, als sie im Bundestagswahlkampf 2009 das Schreckbild einer schwarz-gelben Koalition an die Wand malte und zum Ausgangspunkt einer bedrohlichen Achsenverschiebung in unserer Gesellschaft und einer sozialen Demontage ohnegleichen erklärte. Im Tal der Wahlniederlage müssten wir feststellen, dass diese Warnungen vor Schwarz-Gelb den Wähler keineswegs erschreckt hatten.
Der Regierungswechsel gilt in den Augen der Bürger auch deshalb als Normalfall, weil sich alle Parteien untereinander - von den Rechtsradikalen und Teilen der Linkspartei abgesehen - grundsätzlich für koalitionsfähig halten. Die Vielfalt der Koalitionen auf Länderebene beweist dies. Alle Parteien haben Grenzgänger mit guten Kontakten, auch einige Vertraute mit vertraulichen Beziehungen zu den anderen Parteien. Der demokratischen Stabilität und Funktionsfähigkeit ist dies dienlich. So weit die überwiegend guten Nachrichten.
Die beschriebene Entwicklung hat allerdings auch eine Kehrseite. Wenn weite Teile der Wählerschaft dem Eindruck unterliegen, die Parteien seien doch alle mehr oder weniger gleich, es gebe so gut wie keine Unterschiede mehr, dann droht schnell die Schlussfolgerung, dass sie eigentlich überflüssig sein könnten. In den 20 Jahren, in denen ich für die SPD Regierungsämter wahrgenommen habe, bin ich in den Gremien und »Strategiegesprächen« meiner Partei denn auch keiner anderen Frage so häufig begegnet wie der nach unverwechselbaren Botschaften, Alleinstellungsmerkmalen, Abgrenzungen gegenüber der Konkurrenz und Mobilisierungskampagnen.
Eine statistische Auswertung der Begriffe, die in den Parteiprogrammen zur Bundestagswahl 1998 am häufigsten vorkamen, ergab folgenden Eintopf: »Mit einer gezielten Entlastung bei Steuern und Abgaben und einer beschäftigungsorientierten Tarifpolitik ... wird ein wichtiger Beitrag zur Sicherung und Schaffung von Arbeitsplätzen geleistet. Wir setzen auf die Kräfte des Marktes und auf die Leistungsbereitschaft der Menschen. Und wir bauen auf soziale Partnerschaft und auf soziale Stabilität... Unser Leitbild ist eine nachhaltige Entwicklung, die Umweltbelastungen weiter reduziert und die Ressourcenproduktivität erhöht.« Mit Ausnahme der Ressourcenproduktivität ist uns das Vokabular noch immer geläufig.
Alle demokratischen Parteien streben
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