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Unterm Strich

Unterm Strich

Titel: Unterm Strich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peer Steinbrück
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die Überzeugung zugrunde, dass man »dem Volk« möglichst keine Zumutungen - weder verbal und erst recht nicht materiell - auferlegen darf, wenn man seine Ausgangsposition bei den nächsten Wahlen nicht verschlechtern will. Als der SPD-Vorsitzende Kurt Beck Anfang 2007 öffentlich erklärte, dass die Grenze der Zumutbarkeit erreicht sei, schoss mir spontan durch den Kopf, dass er damit ungewollt sämtliche Schleusen für die nächste Frustrationswelle gegen die Politik geöffnet haben könnte. Angesichts der Fährnisse und Defizite, von denen in diesem Buch die Rede ist, wird verantwortliche Politik gar nicht darum herumkommen, den Bürgern Zumutungen aufzubürden - unter Berücksichtigung ihrer Leistungsfähigkeit. Sie wird allerdings auch auf Veränderungen in dem von Kurt Beck angesprochenen unteren Drittel der Gesellschaft drängen müssen, Veränderungen, die dort mit hundertprozentiger Sicherheit als Zumutungen empfunden werden, auch wenn sie materiell gar keine Einbuße bedeuten, sondern auf Umschichtungen und die Forderung, Gegenleistungen zu erbringen, hinauslaufen.
    Ein Politiker, der weiß, dass die Zukunftssicherung dieses Landes erheblicher Anstrengungen bedarf und der Sozialstaat nur durch einen Umbau erhalten werden kann, der vorsorgend in Menschen investiert, statt die gleichen Menschen mit immer höheren Transfers zu alimentieren, darf keine Entlastungen in Aussicht stellen. Für niemanden. Die Politik kann ein solches Versprechen nicht halten, heute noch viel weniger als Anfang 2007. Der Wortbruch aber wird sich in Form gesteigerter Verdrossenheit noch stärker gegen sie selbst wenden.
    Mein Eindruck ist, dass viele Bürger eine unbequeme Realitätsbeschreibung akzeptieren würden. Sie warten geradezu auf eine ehrliche Ansage. Von Kurt Tucholsky stammt der Satz: »Das Volk versteht das meiste falsch, aber es fühlt das meiste richtig.« Viele wären sogar bereit, die daraus zu ziehenden Konsequenzen zu tragen. Allerdings unter einer Bedingung: Die Politik muss für eine faire Lastenverteilung sorgen. Und eben daran glauben viele nicht. Fairness - eine moderne Übersetzung des vielleicht schon ein wenig überstrapazierten und politische Gegenwehr auslösenden Begriffs der sozialen Gerechtigkeit - ist der Schlüssel, um Politik in Zeiten sozialer Desintegration und globaler Verschiebungen zu legitimieren. Dabei meint Fairness selbstredend, dass die vielzitierten starken Schultern mehr tragen müssen als die schwachen. Das ist eine notwendige Bedingung für Fairness.
    Eine hinreichende Bedingung ist es aus Sicht derjenigen, die ihren Teil solidarisch zu tragen bereit sind, nicht. Sie erwarten, dass alle sich aktiv so weit einbringen und bemühen, wie sie irgend können, und nicht passiv darauf zielen, dass andere ihr Gepäck tragen. Sie pochen auf eine Mitverantwortung derjenigen, denen sie Solidarität zu geben bereit sind. Die Entlassung dieses Teils der Gesellschaft aus seiner Eigenverantwortung verletzt deshalb Fairness genauso wie die unzureichende Heranziehung derjenigen, die Haben und Sagen in der Gesellschaft repräsentieren.
    In diesen Zusammenhang gehören zuletzt einige Bemerkungen zur Politikersprache. Mit ihrer technokratischen Überfrachtung, ihren Worthülsen, ihren teilweise komischen Verschwurbelungen hat sie dazu beigetragen, dass die Bürger der Politik vorläufig jeden Kredit verweigern. Mit einem Schwall von Worten nichts zu sagen, das könnte noch unter politischem Kabarett abgebucht werden. Bedenklicher wird es, wenn majestätischen Ankündigungen keine Konsequenzen folgen. Die Bürger spüren schnell, wenn der Ehrgeiz größer ist als das Talent und der Anspruch größer als das Können.
    Wer nur Beruhigungspillen verabreicht und die Einstimmung und Vorbereitung der Öffentlichkeit auf Probleme mit ungemütlichen Folgen und einem entsprechenden Handlungsdruck unterlasse verliert ebenfalls an Glaubwürdigkeit. Dem Volke nach dem Munde reden, die »Du-kannst-so-bleiben-wie-du-bist«-Rhetorik, die Klaus-Peter Schöppner vom Ennid-Institut so trefflich auf den Nenner brachte, entlarvt das Publikum ebenfalls nach einiger Zeit. Die zweckoptimistischen Ermunterungen in schwierigen Zeiten - in letzter Zeit besonders beliebt: »Deutschland geht aus der Krise gestärkt hervor« - verstopfen die Ohren der Menschen für wichtige politische Ansagen. Hier macht Politik die Staatsbürger zu Kunden, die so zu behandeln sind, dass sie sich in der jeweiligen politischen Filiale

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