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Unterm Strich

Unterm Strich

Titel: Unterm Strich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peer Steinbrück
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unterhaltsamere Dilettanten wie Horst Schlämmer ersetzt werden können. Ein anderer Teil sehnt sich nach einer Lichtgestalt, die Parkettsicherheit, gesellschaftlichen Hintergrund und ein telegenes Gesicht mit einem intelligenten Kopf, verständlicher Diktion und normwidrigem Verhalten kombiniert. Hauptsache, der neue Hoffnungsträger ist anders als die Masse der angepassten und in Routine erstarrten Politiker - und glänzt mehr. Eine dritte Gruppe schließlich fordert von einem Politiker bewusst oder unbewusst die Qualitäten, die Max Weber 1919 in seiner Rede »Politik als Beruf« gefordert hat: Leidenschaft, Verantwortungsgefühl und Augenmaß. Die Erinnerung an eine Riege profilierter, kantiger und rhetorisch brillanter Politiker der Kriegsgeneration, die den »Altparteien« Profil gaben und den Wiederaufstieg der Bundesrepublik prägten, mag das abschätzige Verdikt über die heutigen politischen Amts- und Mandatsinhaber nicht unerheblich beeinflussen.
    Man wird den heutigen Politikern im Alter zwischen 30 und 60 Jahren kaum vorhalten können, dass es ihnen an »Schicksal« fehlt und sie nicht den existenziellen Prüfungen der ersten Generation bundesdeutscher Nachkriegspolitiker ausgesetzt waren. Deren Erfahrungen müssten sie glücklicherweise nicht machen. Unser politischer Alltag biete »keine Bühne für die großen Dramen, für große Darsteller«, schreibt Frank A. Meyer. »Allenfalls die grotesken Auf- und Abtritte der Komödie lassen sich dem demokratischen Alltag abgewinnen.« Die Botschaft ist verständlich: Lieber in normalen Zeiten mit einem eher grauen und durchschnittlichen Personal auf dem politischen Deck leben als in extremen Zeiten mit charismatischen Ausnahmepersönlichkeiten. Stellt sich nur die Frage, ob wir nicht in ziemlich angespannten Zeiten leben und die Herausforderungen nicht doch überdurchschnittliches Personal verlangen.
    Die Klage über einen Mangel an Autoritäten, Führungspersönlichkeiten, Charakterköpfen in der Politik hat viele Ursachen. Von den parteiinternen Auswahl- und Aufstiegsmechanismen war schon die Rede; die schiefe Chancenverteilung zwischen denen, die Zeit haben, und denen, die keine Zeit haben, die Anpassungszwänge in den Parteigremien und die unablässige Musterung durch Parteiaktivisten tragen erheblich dazu bei, dass die Politiker insgesamt als eine eher bescheidene Klasse wahrgenommen werden. Wenn der Strom des politischen Nachwuchses dünner wird, politisch interessierte Bürger sich eher in unabhängigen Initiativen engagieren als in den Parteien, Talente sich lieber auf anderen Feldern zu verwirklichen suchen, dann wirken diese Mechanismen umso fataler, weil die Rekrutierungsbasis für das Spitzenpersonal der Parteien schmilzt.
    Die Jugendorganisationen werden maßgeblich von denjenigen dominiert, die bereits mit Anfang bis Mitte 20 beschlossen haben, ohne Schleife über ein »normales« Berufsleben Politik zum Lebenszweck zu erheben. Sie kennen sich mit allen Kabalen, Finessen und Überlebensstrategien in einer politischen Organisation aus. Viele beschränken sich darauf. Der Praxistest mit ihren Altersgenossen vor Ort in Schulen, Betrieben, Vereinen oder Jugendzentren gehört jedenfalls nicht zwingend zur politischen Grundausbildung. Eine solche politische Sozialisation formt einen sehr eigenen Politikertypus. Beispiele sind über alle Parteigrenzen hinweg zu besichtigen. Er mag in seiner Partei reüssieren, die Wirkung auf eine breite Wählerschaft korrespondiert damit nur in seltenen Fällen.
    Die parteiinternen Auswahl- und Aufstiegsmechanismen rufen Seilschaften, Klüngel und Bündnisse hervor. Dort versichern sich die Beteiligten der gegenseitigen Karriereförderung, unabhängig von Ausstrahlung, Talent und Können, Hauptsache, die vermeintlichen Widersacher in der eigenen Partei werden verhindert. Später spricht man sich bei Ämterbesetzungen ab. Um ein groteskes Beispiel aus meiner Partei zu erwähnen, sei daran erinnert, dass der linke Flügel der SPD auf diese Weise im Herbst 2007 die Wahl des damaligen Bundesministers Sigmar Gabriel ins Parteipräsidium verhinderte und stattdessen den schleswig-holsteinischen Landesvorsitzenden Ralf Stegner durchsetzte. So läuft das in Parteien. Und nicht immer greift der Weltgeist nachträglich korrigierend ein wie bei Sigmar Gabriel.
    Solange sich die politischen Parteien bei der Aufstellung ihrer Kandidaten an parteiinternen Verdiensten, Ochsentouren, Stallgerüchen oder Korrektheiten orientieren -

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