Unterm Strich
Föderalismusreform müsste übrigens die Macht einiger Vetospieler begrenzen - und deshalb ist sie an ebendiesen Vetospielern bisher auch gescheitert!) Vetospieler haben unendlich viele Möglichkeiten, ein grundsätzliches Reformvorhaben in zahllosen Gremien, Körperschaften, Zirkeln, in diversen Hintergrundgesprächen, in Kommissionen und anderen 'Runden so lange auf die Streckbank zu legen und so lange durch den Filter von Einzelinteressen zu sieben, bis von dem ursprünglichen, in sich schlüssigen und schlagkräftigen Konzept kaum mehr etwas übrig ist. Festzuhalten bleibt: Viele Mitspieler in Deutschland missbrauchen ihre Vetomacht unverhältnismäßig und dehnen sie auch unverhältnismäßig und demokratisch nicht legitimiert aus.
Sobald irgendwo das Wort Reform auftaucht, sehe ich vor meinem geistigen Auge Heerscharen von Lobbyisten anrücken, die ihrer Klientel bestehende Vorteile sichern oder neue verschaffen wollen. Die warnen und mahnen, schnell mit dem Bundesverfassungsgericht drohen und so tun, als dienten sie dem Gemeinwohl, während das genaue Gegenteil der Fall ist. Sie betreiben Klientelpolitik ohne Rücksicht auf die künftigen Bedürfnisse der Mehrheit der Bevölkerung. Darüber habe ich mich in einer Rede beim Neujahrsempfang 2006 der Industrie- und Handelskammer in Frankfurt am Main ziemlich echauffiert: »Lobbyisten in die Produktion!«
Die zentrale Frage lautet, ob die Reformfähigkeit in unserem Land noch weiter abnimmt. Das hohe Wohlstandsniveau, die teilweise mühsam errungenen Besitzstände und Rechtsansprüche, immer stärker divergierende Gruppeninteressen und ein feingesponnenes institutionelles und konstitutionelles Netz lassen vermuten, dass wir uns schwertun, Anpassungen an die sich verändernden Rahmenbedingungen vorzunehmen. Reformen sind aber ein Zwang in komplexen Gesellschaften, die darüber Komplexität reduzieren wollen und müssen. Am Ende der Reformprozesse der letzten Jahre in Deutschland waren die Verhältnisse allerdings meist komplexer als zuvor, wie Ralph Bollmann festgestellt hat.
Dass die Reformen selbst immer verwässerter und die Ergebnisse immer unübersichtlicher werden, trägt zu der verbreiteten Unzufriedenheit und Verzweiflung an der Lösungskompetenz der Politik in Deutschland erheblich bei.
Gesicht und Substanz des politischen Personals
Die von Hape Kerkeling im Wahlsommer 2009 gespielte Kunstfigur Horst Schlämmer (»Wat die nich können, dat kann ich auch«) führte die »Leerverkäufe« der politischen Klasse vor. Als Kanzlerkandidat in der realen politischen Welt hätte er laut Umfragen bei vielen Bürgern gute Chancen gehabt.
In kürzester Zeit stieg der CSU-Bundestagsabgeordnete Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg nach der Übernahme des Bundeswirtschaftsministeriums im Februar 2009 zu einem der beliebtesten deutschen Politiker auf - zu einem Popstar der Politik, einer politischen »Lifestyle-Ikone«, zum »Helden eines Bürgertums, das die Erbschaftsteuer abschaffen und die private Krankenversicherung retten will«. Über seinen Beinahe-Rücktritt in der Nacht der Opel-Verhandlungen kurz vor Pfingsten 2009, um den sich bis heute Gerüchte und Girlanden ranken, wurde er nicht nur zum Lordsiegelbewahrer der Ordnungspolitik, sondern gleich auch noch zum »mutigsten Mann der deutschen Politik« ausgerufen. Es sei ihm gegönnt. Hier interessiert der gesellschaftliche Resonanzboden, auf dem ein solcher Raketenstart möglich war.
Kaum einem zweiten deutschen Politiker außer Dienst wird so viel Respekt und Verehrung entgegengebracht wie Helmut Schmidt. Das hält seit Jahren an, geriet zu seinem 90. Geburtstag im Dezember 2008 zu einer (völlig unhanseatischen) Huldigung und hat sich angesichts der jüngsten politischen und ökonomischen Herausforderungen fast bis zur Heiligenverehrung gesteigert. Helmut Schmidt repräsentiert für viele Menschen einen Politikertypus, den sie heute vermissen: einen Mann, der hohe Verantwortungsethik, Sinn für das Machbare, Pflichtgefühl und die Bereitschaft zur Führung in sich vereint.
Horst Schlämmer, Guttenberg, Helmut Schmidt - die drei Namen verdeutlichen, dass die Unzufriedenheit mit dem derzeitigen politischen Personalangebot weit mehr ist als die ständige Nörgelei an den Politikern, die meistens als »die da oben« qualifiziert werden. Ein Teil der Bevölkerung sieht in den Politikern inzwischen offenbar durchgängig Dilettanten und Selbstdarsteller, die deshalb auch durch »bessere« und allemal
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