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Unterm Strich

Unterm Strich

Titel: Unterm Strich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peer Steinbrück
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für eine Machtperspektive herhalten. Mir schien dies von Anfang an illusorisch. Die FDP hatte sich klar für eine Regierungsbildung mit der CDU/CSU ausgesprochen, wenn auch ein entsprechender formaler Beschluss auf einem Parteitag erst wenige Wochen vor der Bundestagswahl erfolgte. Ein Umfallen ins rot-grüne Lager hätte ihr und ihrer Parteispitze buchstäblich die Beine im Wahlkampf weggerissen. In Hessen hatte die FDP für ihre Verlässlichkeit gegenüber der CDU gerade eine politische Rendite eingefahren. So wies sie denn auch alle Avancen der SPD lässig und mit dem durchaus treffsicheren Bild zurück, dass die SPD einer Stalkerin ähnele, derer man sich erwehren müsse.
    Mir blieb schleierhaft, wie wir Wählern und Mitgliedern einen potenziellen Koalitionspartner schmackhaft machen wollten, mit dem die SPD weniger politische Gemeinsamkeiten hat als mit der CDU/CSU, aber dafür umso mehr eine wechselseitige Animosität teilt - jedenfalls in diesem Stadium der Zeitgeschichte, das immer noch andauert. Wo die SPD im Bundestagswahlkampf eine christlich-liberale Regierung als eine soziale Demontage und Achsenverschiebung in unserer Gesellschaft beschrieb und plakatierte - so wie Union und FDP umgekehrt in der politischen Geisterbahn die Leute mit dem rot-roten Bündnis zu erschrecken suchten -, warf sie über Bande die delikate Frage auf, wieso man denn dann ausgerechnet mit denen in einer Ampel koalieren könne. Das mochte verstehen, wer wollte. Viele taten es nicht. Der CDU/CSU konnte die SPD schlecht anlasten, dass sie den Sozialstaat versenken wolle. Denn mit denen saßen wir ja verbandelt - wenn auch nur als Lebensabschnittsbegleiter - auf der Schaukel. Da kann man ihnen kurz vor der Bundestagswahl nicht vorwerfen, dass sie Mundgeruch haben, wenn man sie fast vier Jahre lang ausgehalten hat und nicht von der Schaukel gesprungen ist. Also konnte sich die SPD mit ihrem Zorn gegen die Demonteure des Sozialstaates nur auf die FDP werfen - und plädierte anschließend für eine Ampelkoalition mit ihr.
    Mich erinnerte dieses Dilemma an die Bundestagswahl 1987 mit Johannes Rau als Kanzlerkandidaten; ich war damals sein Büroleiter in der nordrhein-westfälischen Staatskanzlei. Auch dieser Wahlkampf scheiterte an einer fehlenden konkreten Machtperspektive. Spätestens als Willy Brandt in einem Interview sagte, dass 42 Prozent doch auch ein schönes Ergebnis seien, brach die Strategie, in Ermangelung einer realistischen Alternative hochstapelnd auf Sieg zu spielen, in sich zusammen. Heute wären 42 Prozent in der Tat ein sehr schönes Ergebnis.
    In zwei Strategiesitzungen der engeren Parteiführung Ende Mai und Anfang Juli 2009 brachte ich meine Bauchschmerzen zum Ausdruck: Wir wollen eine rot-grüne Bundesregierung unter der Kanzlerschaft von Frank-Walter Steinmeier (ziemlich unwahrscheinlich); wenn das nicht klappt, eine Ampelkoalition mit der FDP (von denen abgelehnt); ansonsten schauen wir mal, wie die sich im Licht des konkreten Wahlergebnisses verhalten (Prinzip Hoffnung); und ganz am Ende schließen wir eine Fortsetzung der großen Koalition nicht aus (ungeliebt). Nach meinem Eindruck teilte insbesondere Peter Struck diese Skepsis. Die Alternative, die von den wahrscheinlichen Proportionen her als einzige die SPD in der Regierung gehalten hätte, nämlich gerade wegen und in der Krise proaktiv auf eine Fortsetzung der großen Koalition zu setzen und darin die SPD mit dem besseren personellen Angebot so stark wie möglich zu machen, hätte bedeutet, dass die SPD den Ehrgeiz aufgibt, stärkste Partei zu werden und den Kanzler zu stellen.
    Einen Versuch, die SPD mit der Option auf eine Fortsetzung der großen Koalition im Spiel zu halten, unternahm ich erst in der Schlusskurve des Bundestagswahlkampfes Mitte September 2009 bei einer öffentlichen Veranstaltung des Stern in Hamburg. Das brachte mir ein wenig Aufmerksamkeit - und eine Menge Ärger mit meiner Partei. Heute wäre die Werbung für eine große Koalition keine Regelverletzung und könnte sich einer wärmeren Begrüßung gewiss sein. Hochverrat sei eine Frage des Datums, soll der französische Außenminister Talleyrand auf dem Wiener Kongress 1815 gesagt haben. Darin kannte er sich aus.
    5. Der tiefe Fall der SPD bei der Bundestagswahl 2009 und die klare Mehrheit für eine christlich-liberale Bundesregierung waren nicht etwa einer starken Vorstellung und einem respektablen Ergebnis von CDU/CSU zu verdanken. In vielen Kommentaren ging unter, dass die Union

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