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Unterm Strich

Unterm Strich

Titel: Unterm Strich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peer Steinbrück
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trotz der persönlichen Popularitätswerte der Bundeskanzlerin gegenüber 2005 1,9 Millionen Stimmen verloren hatte und mit 33,8 Prozent das zweitschlechteste Ergebnis seit 1949 erzielte. Die satte Mehrheit der christlich-liberalen Koalition geht eindeutig auf das grandiose Ergebnis der FDP mit fast 15 Prozent zurück. Die hob daraufhin ab. In einer sogar in der Politik selten zu vermeldenden Selbsttäuschung wurde ein Absturz programmiert, dessen Fallgeschwindigkeit in den neun Monaten bis zur Sommerpause 2010 im deutschen Parteienwesen rekordverdächtig ist.
    Die FDP dachte im Ernst, dass sie diese 14,6 Prozent ihrem schmalen Politikangebot verdanke, das sich mehr oder weniger auf einen einzigen Nenner bringen lässt: Steuersenkungen plus Kopfpauschale. Der bemerkenswerte Gunstbeweis der Wähler ging aber zu einem erheblichen Teil nicht etwa auf attraktive Ideen der FDP zurück, sondern auf CDU/CSU-Wähler, welche die Union aus der Umarmung mit der SPD herausgeführt sehen wollten. Die wollten raus aus der großen Koalition, teilten aber weder das Verständnis der FDP vom Staat als einem »teuren Schwächling« noch deren Vorstellungen eines entsolidarisierten Gesundheitssystems. Deshalb hat sich ihre Gunst ebenso schnell verflüchtigt, wie sie situativ gewährt worden war, und lässt nun die FDP fast auf den Boden der 5-Prozent-Klausel prallen.
    Unter dem Strich bleibt festzustellen, dass diese Wählerwanderung dazu beigetragen hat, die große Koalition zu suspendieren und die SPD auf die Oppositionsbänke zu versetzen. Insofern mag meine alternative Wahlstrategie, proaktiv auf eine Fortsetzung der großen Koalition zu setzen, auf nicht minder irrigen Annahmen beruht haben. Womit das Dilemma der SPD aus der Rückschau noch auswegloser erscheint. Nicht nur ein großer Teil der SPD-Wähler, sondern ein genauso großer Teil der Unionswähler wollte im Herbst 2009 die schwarz-rote Koalition nicht mehr. Darüber ist die FDP größer, aber auch größenwahnsinniger und die SPD kleiner, aber nicht kleinmütiger geworden.
    Richtig bleibt nach meiner Einschätzung, dass auch diese Bundestagswahl in der politischen Mitte entschieden worden ist. Diese ist - um das noch einmal zu unterstreichen - kein konstanter und festgefügter Block im politischen Spektrum. Aber dessen ungeachtet zeigte sich im Herbst 2009, dass die SPD dort weniger beheimatet ist als die politische Konkurrenz rechts von ihr. Obwohl die SPD für eine Zähmung der Finanzmärkte, für eine Stabilisierung des Arbeitsmarktes und für Sozialstaatlichkeit gerade in der Krise eintrat, wurde nicht sie, sondern eine politische Konstellation gewählt, in der insbesondere auch marktradikale, vulgärliberale und anti-etatistische Vertreter ein nennenswertes Gewicht haben. Aus dieser »Düsternis« kommt der Stich für die SPD. Wie groß muss der Vertrauens- und Kompetenzverlust gewesen sein, der das bewirkt hat! Die Mitte der Wählerschaft bewertete die Glaubwürdigkeit, die Verlässlichkeit, das Erscheinungsbild, das Deutungsmuster und die politischen Lösungsangebote der SPD offenbar anders als sie selbst.
Blick in den Rückspiegel
    Die große Koalition und die Chiffren Agenda 2010, Hartz IV und Rente mit 67 mögen in der innerparteilichen Sicht die naheliegenden und fast ausschließlichen Erklärungen für das schlechteste Bundestagswahlergebnis der SPD seit 1949 sein. Ich bezweifle aber, dass die breite Mitgliedschaft - und nicht nur der Kreis der abgefragten Funktionärsträger der Partei auf den unteren Ebenen - das so sieht. Im Hinblick auf die Wahlbevölkerung bin ich mir ziemlich sicher, dass dieses Erklärungsmuster nicht ausreicht. Eher lenkt es davon ab, sich mit dem Eingemachten der Partei zu beschäftigen. In der Tat könnte man bei einem Eintauchen in die Tiefenschichten der SPD auf ein Ungeheuer á la Loch Ness stoßen, das um des innerparteilichen Friedens willen lieber nicht geweckt werden soll.
    Dabei halte ich die These des Parteienforschers Franz Walter, dass die Not der SPD schon viel früher begann, noch nicht einmal für sprengstoffverdächtig. Er nimmt das Krisenjahr 1973 als Ausgangspunkt für eine Beschreibung, nach der die kollektive Erfahrung einer Wachstumsära seit 1949, die zu erheblichen Wohlstandsgewinnen in der Breite der Bevölkerung geführt hatte, mit neuen ökonomischen und sozialen Entwicklungen kollidierte. Die Massenarbeitslosigkeit, der man durch den staatlichen Instrumentenkasten des Stabilitäts- und Wachstumsgesetzes aus

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