Unterm Strich
die dem demokratischen Rechtsstaat entsprachen und daher im Widerspruch zu den Verirrungen des deutschen Militärs in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts standen. Sie orientierten sich an den Generälen Wolf Graf Baudissin und Ulrich de Maiziere, dem Vater meines späteren Kabinettskollegen Thomas de Maiziere.
Die Gründe meines Eintritts in die SPD lagen in der Auflehnung gegen den Mief eines verstockten Konservatismus mit chauvinistischen Zügen und in meiner Empörung angesichts der Bigotterie der bürgerlichen Wohlanständigkeit gegenüber dem Exilanten und unehelich geborenen Willy Brandt, dessen Charisma und Politik des Wandels durch Annäherung aus der gefährlichen Erstarrung, die mitten durch Europa ging, herausführen sollten. Karl Marx' Preis- und Werttheorie fand ich stinklangweilig, seinen historischen Materialismus falsch und durch Karl Popper widerlegt, seine dialektische Denkweise richtig und seine Analyse Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte über den Staatsstreich des späteren Napoleon III. im Dezember 1851 genial. Im Revisionismusstreit der SPD stand ich immer auf der Seite von Eduard Bernstein. Auch hegte ich große Sympathien für Konvertiten oder Renegaten wie Manes Sperber, Arthur Koestler, Andre Gide oder Ignazio Silone, die zunächst insbesondere in Auflehnung gegen den Faschismus Mitglieder der Kommunistischen Partei wurden, ehe viele von ihnen in den dreißiger Jahren, desillusioniert auch durch die stalinistischen Säuberungsprozesse, austraten und über die damit verbundenen inneren wie äußeren Konflikte faszinierende Bücher schrieben.
Unmittelbare Erfahrungen mit dem realen Sozialismus der alten DDR machte ich während einer kurzen Zeit im Jahr 1980 als Mitarbeiter der Ständigen Vertretung der Bundesrepublik Deutschland in Ost-Berlin. Diese Monate wie auch private Reisen in die DDR und ein erschütternder Besuch des Stasi-Gefängnisses Hohenschönhausen verschließen mir bis heute jedes Verständnis für Anwandlungen einer DDR-Nostalgie. Die vulgärmarxistischen, auch leninistischen und damit antidemokratischen und antifreiheitlichen Relikte sowie das nach wie vor von alten SED-Kadern und westdeutschen Sektierern durchsetzte Personalangebot sind für mich Grund genug, die Linkspartei als Erbin einer Diktaturpartei äußerst kritisch zu sehen. Solche ideologischen und personellen Rationen könnten sich zwar im Laufe der Jahre ausschwitzen, doch dann bliebe immer noch die Weigerung dieser Partei, sich ihrer Geschichte und deren Opfern zu stellen. Eine solche, fast historisch zu nennende Gelegenheit hat die Linkspartei bei der Wahl des Bundespräsidenten am 30. Juni 2010 verpasst, als sie sich nicht durchringen konnte, Joachim Gauck zu wählen; damit verharrte sie in ihrer Position als »DDR-Selbstverteidigungspartei« (Kurt Kister). Auch deshalb waren und sind mir Überlegungen von Teilen der SPD fremd, sich der Linkspartei strategisch in einer »Normalität« des Verhältnisses zu öffnen. Wer hat sich eigentlich gegenüber wem zu öffnen? Und für was?
Das Debakel der Bundestagswahl 2009
Wir befinden uns im Herbst 2009 - mitten in der größten Finanz- und Wirtschaftskrise seit Gründung der Bundesrepublik Deutschland. Das Krisenmanagement der schwarz-roten Bundesregierung wird von Dritten immerhin als respektabel bezeichnet. Es trägt die maßgebliche Handschrift von Sozialdemokraten. Das Vertrauen in die Selbstheilungskräfte des Marktes ist angesichts des tiefen ökonomischen Absturzes und der nahezu autoaggressiven Züge auf den Finanzmärkten schwer erschüttert. Das Paradigma der Deregulierung hat abgewirtschaftet. Laut wird nach einem handlungsfähigen Staat gerufen, der in Koordination mit anderen Staaten für Verkehrsregeln und stimulierende Konjunkturprogramme sorgen soll. Mitten in dieser Phase fährt die SPD ihr schlechtestes Ergebnis bei einer Bundestagswahl seit 1949 ein. Gewählt wird eine konservativ-liberale Bundesregierung aus CDU/CSU und FDP, die zumindest in Teilen stramm markttheologisch orientiert ist. Dieses Rätsel ist schwer aufzulösen und bereitet der SPD bis heute erhebliche Schmerzen auf dem Weg der Selbsterkenntnis.
Der Hinweis auf die Agenda 2010 mit der Chiffre Hartz IV und auf die Rente mit 67 reichte mir schon unmittelbar nach der Bundestagswahl nicht als Erklärung, und das gilt heute erst recht. Der Schwund an Wählern und Mitgliedern hatte bereits massiv vor der Verabschiedung der Agenda 2010 im Frühjahr 2003 eingesetzt - und
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