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Unterm Strich

Unterm Strich

Titel: Unterm Strich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peer Steinbrück
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in einem umgekehrt proportionalen Verhältnis zu ihren persönlichen Wahlergebnissen stehen. Sie können krachende Wahlniederlagen eingefahren haben, in ihrem persönlichen Erststimmenergebnis mehrere Male hintereinander deutlich unter dem Zweitstimmenergebnis der SPD in ihrem Wahlkreis liegen, und doch muss das ihre Position in der formellen und informellen Parteihierarchie wie auch ihren Einfluss auf die Programmatik keineswegs beeinträchtigen. Das verweist auf die Binnenorientierung und Selbstfixierung in der Parteiendemokratie, von der schon mehrmals die Rede war. Eine Änderung ließe sich herbeiführen, indem sich entweder die Parteien übergreifend darauf verständigen, dass beispielsweise zwei Drittel statt der Hälfte der Abgeordneten des Deutschen Bundestages direkt gewählt werden, oder parteiintern die Regel verabschiedet wird, dass ein Kandidat nicht wieder aufgestellt werden kann, dessen persönliches Wahlergebnis zweimal um x Prozent unter dem Zweitstimmenergebnis der Partei lag.
    Die Jusos sprechen, sekundiert von einigen Verstärkern im Parteivorstand und Parteirat, ein gewichtiges Wort mit. Natürlich würde die SPD ohne eine solche Jugendorganisation verkümmern und noch schneller vergreisen. Also müssen ihr Möglichkeiten gegeben werden, sich zu repräsentieren und zu artikulieren. Letzthin las ich ein Strategiepapier der Jusos mit dem Titel »Für eine Linke der Zukunft«, das unter dem Vorsitz der damaligen Vorsitzenden, Franziska Drohsei, auf einem Juso-Kongress im Juni 2008 mit einer »breiten Zustimmung« verabschiedet wurde. Es erhebt den demokratischen Sozialismus zum Ziel und ruft zur Überwindung des Kapitalismus auf. Die nach eigenem Bekenntnis marxistisch inspirierten Thesen sollen in die inhaltliche Arbeit der SPD einfließen. Ausdrücklich wird angeraten, das Gespräch mit Vertretern linksradikaler Gruppen zu suchen und »die Scheuklappen gegenüber der Linkspartei« aufzugeben.
    Ich verstehe, dass die Jusos mehr sein wollen als die Plakatkleber der Mutterpartei, dass es ihnen darum geht, sich eine eigenständige linke Identität neben der SPD zu geben. Aber das entlastet sie selbst und die Parteispitze der SPD nicht von der Frage, ob diese pseudorevolutionäre Position eigentlich repräsentativ für die gesamte Nachwuchsorganisation ist oder nicht vielmehr unter dem Einfluss einer spezifischen Strömung zustande kommt, die sich kaderähnlich gegen ein tatsächlich viel breiteres Spektrum von Meinungen, Werten und Haltungen durchzusetzen vermag. Spricht man mit Jusos, die in Wahlkämpfen ackern und Veranstaltungen organisieren, dann hat man den Eindruck von Parallelwelten in ein und derselben Organisation.
    Noch viel bedeutsamer ist die Frage, welche Wirkung die Jusos mit dezidiert linkssozialistischen Positionen und der Rhetorik ihrer Bundeskongresse bei denjenigen erzielen, die sie als Jugendorganisation eigentlich erreichen sollten - wenn die Rolle einer sozialistischen Avantgarde in der SPD nicht ihr ausschließlicher Zweck ist und sie sich nicht als bloßer Förderverein für spätere Parteikarrieren verstehen. Wie nahe stehen die Jusos ideell, politisch und mit ihren Partizipationsangeboten den Jugendlichen in Schulen, Universitäten, Betrieben und Vereinen?
    Tatsächlich hat ihre Mitgliederzahl gegenüber Ende der neunziger Jahre genauso abgenommen wie bei der Mutterpartei. Ihrer politischen Konkurrenz bei den Unionsparteien wird ein größerer Widerhall unter Jugendlichen und jungen Erwachsenen unterstellt als ihnen. »Die Jusos laufen Gefahr, gleich an zwei Seiten entwurzelt zu werden: innerhalb der SPD und, viel schlimmer, gesellschaftlich.« Die Bedeutung, die den Jusos - genauer gesagt, denjenigen, die ihre Verbandskultur dominieren - innerparteilich eingeräumt wird, und ihr Anspruch, die politisch-programmatische Richtung der SPD wesentlich mitzubestimmen (auch über »marxistisch inspirierte Thesen«), stehen in einem deutlichen Missverhältnis zu ihrem politischen Erfolgsnachweis, nämlich zu ihrer Reichweite und Verankerung in ihrer eigenen Generation. Es wäre an der Zeit, diese politische Delikatesse auf den Tisch zu bringen.

    Souverän der Partei, Instanz, Orakel, Kronzeuge, Projektionsfläche eigener Präferenzen, Alibi und Deckmantel - all das ist die vielzitierte Basis der SPD. Für Außenstehende ist sie die Gesamtheit der Parteimitglieder. Einige Führungspersonen meinen damit die rund 15 bis 20 Prozent der Parteiaktiven. Andere verstehen darunter die

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