Unterm Strich
nicht geradezustehen habe. Kurz vor dem Finanzgipfel Ende Juni 2010 in Toronto schwangen versöhnlichere Töne in der Ankündigung, dass die Chinesische Zentralbank den Wechselkurs zukünftig flexibler halten wolle. Aber Zeitpunkt und Umfang der Neubewertung blieben offen.
In einem etwas kleineren Maßstab entspricht diese Konstellation der innereuropäischen Lage. Deutschland hat mit seinen Überschüssen den Part von China in Europa übernommen. Da es innerhalb der Eurozone keinen Ausgleichsmechanismus mittels Auf- und Abwertungen einer nationalen Währung mehr gibt, richtet sich die Kritik aus Defizitländern auf die schwache deutsche Nachfrage nach ihren Gütern - und wir antworten ihnen, den Chinesen ziemlich ähnlich, nach dem Motto, dass sie ihren Laden und seine Auslagen doch gefälligst selbst in Schuss zu bringen haben. Der Unterschied gegenüber China ist freilich, dass Deutschland seine Wettbewerbsposition nicht durch Währungsdumping verbessert hat, sondern vielmehr durch eine Steigerung seiner Wettbewerbsfähigkeit und eine Reformagenda, die andere Länder unterlassen oder versäumt haben.
Wesentlich spektakulärer als in Gestalt von Handels- und Währungsproblemen äußert sich das gewachsene politische Selbstbewusstsein Chinas auf zwei anderen Feldern, auf denen das Spiel kaum weniger bedeutsam ist. China wirft den USA »Informationsimperialismus« vor, wie die Süddeutsche Zeitung Ende Januar 2010 ein chinesisches Propagandablatt zitierte. Es geht im Kern um die Freiheit im Internet beziehungsweise die Bemühungen der chinesischen Führung, sich eine politische Kontrolle über das Internet zu verschaffen. Das ist zwar das Sinnen und Trachten der chinesischen Führung seit Jahren, doch neuerdings fallen die chinesischen Gegenangriffe auf diesbezügliche Kritik sehr viel schärfer aus. Die Forderung der USA, einen freien Informationsfluss im Internet herzustellen, sei »ein verdeckter Versuch, anderen Ländern im Namen der Demokratie ihre Werte aufzuzwingen«.
Anfang 2010 schoss China einen Satelliten in den Weltraum, mit dem das chinesische Navigationssystem Beidou (Kompass) aufgebaut werden soll. In den Jahren 2011 und 2012 sollen zehn weitere Satelliten folgen. Zwischen 2015 und 2020 wird, so der Plan, das satellitengestützte Navigationssystem weltweit (!) nutzbar sein. Uns Europäern muss niemand erklären, welche strategische Bedeutung und welchen praktischen Nutzen ein solches Navigationssystem hat. Das Global Positioning System (GPS) finden wir zwar sehr hilfreich, und wir spielen damit auch gern auf unserem Mobiltelefon, um den Kiosk an der Ecke zu finden, aber die einseitige Abhängigkeit vom GPS verursacht uns auch immer ein leichtes Sodbrennen. Denn wenn die Amerikaner es in einer bestimmten Situation für nötig halten sollten, könnten sie uns buchstäblich im Dunkeln stehen lassen und in die Zeit der Längengradmessung mit den technischen Weiterentwicklungen des genialen britischen Uhrmachers John Harrison (1693 -1776) zurückversetzen. Deshalb trafen die Europäer schon zu Beginn des 21. Jahrhunderts die richtige Entscheidung, ein eigenes Navigationssystem, Galileo, mit rund 30 Satelliten zu installieren. Funktionieren sollte es ab 2008. Jetzt überholen uns die Chinesen, weil europäische Entscheidungsprozesse nun einmal genial unordentlich und langwierig sind, weil wir uns wie die Kesselflicker um industrielle Beteiligungen und Systemführung streiten, lieber die Landwirtschaft subventionieren, als die Finanzierung eines solchen Projekts zeitnah sicherzustellen, und sowieso eine Neigung zu kleinstem Karo haben.
Dass jetzt die Chinesen wie in vielen olympischen Disziplinen an uns vorbeiziehen und sich die Medaillen sichern, ist aber noch nicht alles. Sie setzen Hebel in Bewegung, die uns daran hindern könnten, überhaupt noch am Rennen teilzunehmen, indem sie eine Laufbahn sperren - mit anderen Worten: indem sie uns Frequenzen wegnehmen. Die Chinesen lassen ihre Navigationssatelliten in einem Wellenbereich senden, den die Europäer für ihre Galileo-Satelliten nach offiziellen Anmeldungen bei einer UN-Behörde reserviert zu haben glaubten. Bei einem Projekt in Milliardenhöhe mit einer überragenden infrastrukturellen und wirtschaftlichen Bedeutung - von militärischen Aspekten ganz abgesehen - ist eine solche Kollision keineswegs belanglos, auch wenn sie unterhalb der Wahrnehmungsschwelle einer breiten europäischen Öffentlichkeit geblieben ist.
Es mag sich noch nicht einmal
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