Unterm Strich
Anlagen. Manchmal reicht schon die bloße Inflationserwartung, um Lawinen auszulösen.
Diese Gläubiger-Schuldner-Beziehung und der darin steckende Vorteil, dem Schuldner Wohlverhalten nahelegen zu können, ist eine Facette des sich wandelnden Machtgefüges im globalen Finanzsystem. Der Mechanismus ist nicht ganz neu, weil sich das zugrunde liegende Ungleichgewicht im Verhältnis zwischen den USA und China bereits vor Ausbruch der Finanzkrise aufgebaut und diese mit verursacht hat.
Beängstigend ist die Gefahr, dass eine Blase auf den chinesischen Aktien-, Anleihe- und Immobilienmärkten geräuschvoll platzt und ein Nachbeben zur Finanzkrise auslöst. Die chinesische Regierung hat ein bis 2010 laufendes gigantisches Konjunkturprogramm von fast 600 Milliarden Euro vom Stapel gelassen und die Staatsbanken veranlasst, in nicht weniger gigantischen Größenordnungen Darlehen zu gewähren, um die Folgen der Finanz- und Wirtschaftskrise aufzufangen, obwohl China selbst davon weit weniger betroffen war und ist als andere Länder. Tatsächlich dürften die jüngsten Wachstumszahlen Chinas überwiegend auf diese Staatsinvestitionen und auf Staatsinterventionen im Bankensektor zurückzuführen sein.
Ich kann mich erinnern, wie dieses Stimulanzpaket europäischen Finanzministern in ihrer angeblichen Verzagtheit und Ahnungslosigkeit im Hinblick auf das Ausmaß der Krise geradezu als vorbildlich vorgehalten wurde. Nicht »think big«, sondern »think Chinese« hieß die Devise. Es herrschte kein Mangel an Bewunderung und Lob in der freudigen Erwartung, dass China dadurch den Karren der Weltkonjunktur wieder aus dem Schlamm ziehen würde.
In Vergessenheit geriet dabei erstens, dass China sich ein solches Konjunkturpaket leisten kann, selbst wenn es weitgehend kreditfinanziert ist. Und zweitens blieb der Beipackzettel zu Risiken und Nebenwirkungen irgendwo ungelesen liegen. Das Ergebnis ist eine Geldschwemme in China, die Aktienkurse und Immobilienpreise durch das Dach schießen lässt.
Weil privaten Investoren attraktive Unternehmen in Schlüsselindustrien wie Energie, Telekommunikation oder Verkehr ebenso wie im staatlich monopolisierten Bankensektor verschlossen sind, landen die größten Summen wie in einem Trichter auf dem Aktien- und Immobilienmarkt - und heizen dort die Preise und die Inflation an. Das Konjunkturprogramm der Regierung ist überwiegend zu Gunsten der größeren Staatskonzerne und in die staatlich gesteuerte Infrastruktur geflossen. Die chinesischen Banken wiederum, die der Vorgabe der exzessiven Darlehensgewährung gefolgt sind, können kaum ermessen, wie viele der Geschäfte, die sie finanziert haben, tragfähig sind. Kaum einer weiß, wie viele faule Kredite in ihren Bilanzen schlummern und sich als wahre Ungeheuer zu erkennen geben, falls die Blase platzen sollte.
Die zentrale Frage lautet, ob China diese Kreditschwemme - unter einem Wachstumsverzicht - eindämmen will und kann. Erste Schritte wie die Erhöhung der Mindestreserven, die Banken zu hinterlegen haben, und die Zinserhöhung für Staatstitel mit kurzer Laufzeit werden bereits unternommen, um den Motor zu drosseln. Bei dem Wohnungsbedarf, den 1,3 Milliarden Chinesen haben und den insbesondere eine Mittelschicht mit wachsenden Ansprüchen entwickelt, dürfte auch der Wohnungsmarkt nicht in solchem Ausmaß und so schnell zusammensacken wie - und zwar mit anhaltender Wirkung - Ende der achtziger/Anfang der neunziger Jahre in Tokio. Ferner lösen die Infrastrukturdefizite einen Investitionsbedarf aus, von dem noch über Jahre Wachstumsimpulse ausgehen können. Dennoch: Um einer Blasenentwicklung mit erheblichen Risiken, die auf den Rest der Welt überspringen würden und dramatisch schon einmal auf »tausendmal Dubai und noch schlimmer« eingeschätzt wurden, entgegenzutreten, müsste China eine grundlegende Kursänderung vornehmen. Die erscheint aber systembedingt und angesichts der Selbstverpflichtung der chinesischen Führung auf eine strikte politische Kontinuität eher unwahrscheinlich, es sei denn, das Ausmaß an potenzieller Selbstbeschädigung erzwingt Korrekturen.
Eine deutlich spürbare Aufwertung des Renminbi würde nicht nur zu einer Verringerung globaler Ungleichgewichte in den Handelsbilanzen, sondern auch zur Inflationsdämpfung in China beitragen. Eine Öffnung der Monopolindustrie unter staatlicher Führung und des Bankensektors für privates Kapital würde neue Investitionskanäle schaffen und von den Aktien- und
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