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Unterm Strich

Unterm Strich

Titel: Unterm Strich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peer Steinbrück
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unaufhaltsam erscheinenden Aufstieg wahr und sind beunruhigt über seine Explosivkraft. Der überwältigende Eindruck, den Chinas Aufschwung seit der Öffnung durch Deng Xiaoping erweckt, verbindet sich mit der Hoffnung, dass die Ermüdungserscheinungen beim Wachstum der klassischen Industrieländer durch China - wie auch durch andere Schwellenländer - kompensiert werden. In dieser Sicht erscheint China als Retter des globalen Wirtschaftswachstums.
    Dagegen fürchten die Skeptiker, dass ein Kollaps dieser rasanten Expansion eine tiefe Erschütterung der globalen Ökonomie zur Folge haben könnte. Setzt sich der Aufstieg fort, deuten sie die Zeichen auch dahingehend, dass sich wachsende ökonomische Stärke in einen ausgreifenden politischen Einfluss übersetzt und damit ein »chinesisches Jahrhundert« mit Abdankungszeremonien der alten Industrieländer und westlichen Demokratien eingeläutet wird.
    Auch in ihren differenzierteren Varianten unterliegen beide Ansichten einem Irrtum. Die wachstumsgläubigen Euphoriker überschätzen die Zugkraft Chinas als ökonomische Lokomotive für die Weltkonjunktur. Mit einem Anteil von 7 Prozent (2008) an der jährlichen weltweiten Wirtschaftsleistung steht China (noch) weit hinter den USA mit 23 Prozent und der Eurozone mit 22,4 Prozent. Die Stimmen wiederum, die vor einem platzenden Überhitzungs-Szenario warnen, unterschätzen die Fähigkeiten und den Willen der chinesischen Führung, einer solchen negativen Entladung mit Selbstbeschädigungen und einem weltweiten Flurschaden entgegenzuwirken. Die Schattenseiten und Entwicklungsdefizite, die die Skeptiker in den Vordergrund stellen, begrenzen den vorgezeichneten Weg in ein Jahrhundert chinesischer Hegemonie.

    China legt ein atemberaubendes Wachstum vor und schafft sich gleichzeitig selbst die Probleme, die dieses Wachstum zukünftig behindern werden - von der Umweltverschmutzung mit massiven Gesundheitsgefährdungen bis hin zu einem wachsenden sozialen und regionalen Gefälle. Während die kommunistische Doktrin eine Einkommensnivellierung vorschreibt, besitzt inzwischen 1 Prozent der Chinesen etwa 60 Prozent des Vermögens und praktiziert einen krassen Kapitalismus mit offensichtlicher Duldung des Regimes der Einheitspartei. Es entwickelt sich zunehmend eine wohlsituierte urbane Mittelschicht, während weite Teile der ländlichen Bevölkerung Chinas in Armut zurückbleiben, mit der Folge eines riesigen Migrationsproblems. Die Politik der Ein-Kind-Ehe, die der weiteren Bevölkerungsexplosion entgegenwirken sollte, hat zu einer Überalterung der chinesischen Gesellschaft geführt, übrigens auch zu einem problembehafteten Männerüberschuss. Damit stehen Regierung und Partei vor der Aufgabe, ein Alters- und Krankenversorgungssystem in einer weltweit einmaligen Größenordnung aufzubauen.
    Einem hochgradig entwickelten Instinkt für Kommerz, den man fast zum chinesischen Erbgut zählen kann, steht das Festhalten an maroden, unproduktiven Staatsbetrieben gegenüber. Die ehrgeizige Exportstrategie verbindet sich mit einer trickreich gestalteten Abschottung der heimischen Märkte. China sieht sich als Opfer der Finanzkrise, hat sie aber mit seiner immer noch unterbewerteten Währung, seinen Leistungsbilanzüberschüssen und riesigen Währungsreserven zu einem Teil auch verursacht. Die Kommunistische Partei Chinas hält autoritär am Machtmonopol fest, ist aber kein monolithischer Block. Der Nationalismus in China blüht und stiftet offenkundig Identität, richtet sich aber nicht aggressiv nach außen, sondern nur nach innen, wenn die Einheit des Landes aus Sicht der politischen Führung gefährdet erscheint. Das politische Selbstbewusstsein auf der Weltbühne nimmt deutlich zu, aber China übernimmt kaum eine dem entsprechende politische Verantwortung für die Lösung globaler Probleme, sondern verharrt bisher vornehmlich in einer Vetoposition.
    Noch hat unser Bild von China keine klaren Konturen und sollte deshalb weder zur Verzauberung noch zur Verdrängung seiner positiven wie negativen Eigenschaften einladen. Der Aufstieg Chinas wird mittelfristig nicht weiter so linear wie in den letzten Jahren verlaufen. Das Land wird Rückschläge, Verstopfungen, Problemzuspitzungen und wachsende Ansprüche seiner Bürger erleben. Aber dessen ungeachtet wird der Trend einer hohen Wirtschafts- und Entwicklungsdynamik anhalten, und darauf hinauslaufen, dass China neben den USA den Sitz des Co-Piloten der Weltwirtschaft und Geopolitik

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