Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Unterm Strich

Unterm Strich

Titel: Unterm Strich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peer Steinbrück
Vom Netzwerk:
Prozent der deutschen Exporte gehen nach China, rund 7,5 Prozent nach Nordamerika und 2,5 Prozent nach Lateinamerika. Das sind die Proportionen, die deutlich machen, was es für Deutschland hieße, wenn es im Euroraum einschlägt oder die EU an einem Infekt leidet.
    Die Dynamik der Zuwächse im Export weist allerdings den wachsenden Stellenwert der Schwellenländer aus. Insofern kommt für die Aussichten auf den Weltmärkten erschwerend hinzu, dass Deutschland zwar in einigen Branchen, wie der Automobilindustrie und ihren Zulieferern, dem Maschinen- und Anlagenbau, der Elektrotechnik oder bei industriellen Grundchemikalien, weit überdurchschnittliche Weltmarktanteile hat, aber es sind zu viele Traditionsindustrien, in denen wir Weltspitze sind. Uns stehen deshalb erhebliche Anstrengungen bevor, um unsere Exportposition gegen umtriebige und innovationsfreudige Konkurrenten zu halten.
    Begleitet wird diese Auswärtsstärke aber unverkennbar von einer bemerkenswerten Heimschwäche. Seit Anfang dieses Jahrhunderts stagnieren in Deutschland die privaten Konsumausgaben. Während der private Verbrauch in den übrigen Ländern des Euroraums seit 2001 real um 15 Prozent zulegte, ist er hierzulande so gut wie konstant geblieben. Zudem hat sich der private Konsum in Deutschland, anders als im übrigen Euroraum, seit 2005 von der Entwicklung des BIP abgekoppelt. Trotz eines wirtschaftlichen Aufschwungs haben die Bürger in Deutschland nicht mehr Geld in die Geschäfte getragen. Drei Komponenten haben dazu maßgeblich beigesteuert.
    Erstens schlägt sich darin die schwache Lohnentwicklung nieder. Der durch die Produktivitätssteigerung gegebene Spielraum für Lohnerhöhungen wurde seit Mitte der neunziger Jahre nicht ausgeschöpft. Die Effektivverdienste blieben unterhalb des nominalen Trends der Produktivität. Ein internationaler Vergleich zeigt, dass die realen Entgelte je Arbeitnehmer in Deutschland seit dem Jahr 2000 wie in keinem anderen Land der EU vor der Osterweiterung gesunken sind. Die realen Nettolöhne liegen nicht höher als Anfang der neunziger Jahre. Von 2004 bis 2008 gingen sie sogar zurück. Das ist ein einmaliger Vorgang in der Geschichte Deutschlands, denn nie zuvor korrespondierte ein verhältnismäßig kräftiges Wirtschaftswachstum über mehrere Jahre mit einer Senkung der realen Nettolöhne. Maßgeblich dafür war - das hält eine Untersuchung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) ausdrücklich fest - nicht etwa eine höhere Belastung der Löhne durch Steuern und Sozialabgaben, sondern die außerordentlich schwache Steigerung der Entgelte. Spiegelbildlich hat Deutschland dadurch seine Lohnstückkosten gesenkt und an Wettbewerbsfähigkeit vor allem gegenüber den Ländern gewonnen, die eine umgekehrte Entwicklung, mit Lohnsteigerungen teils deutlich über ihrer Produktivitätsentwicklung, durchliefen.
    Zweitens und logischerweise hat sich darüber seit Mitte der neunziger Jahre die funktionale Einkommensverteilung - ausgedrückt in der sogenannten Lohnquote - zu Ungunsten des Faktors Arbeit verschoben. Analog stieg die sogenannte Gewinnquote, also der Anteil der Einkommen der Unternehmer und Vermögensbesitzer am Volkseinkommen, deutlich an. Somit lässt sich nicht an der Feststellung rütteln, dass seit Beginn des 21. Jahrhunderts eine massive Umverteilung stattgefunden hat.
    Daran ändern auch Tadel an den Methoden, diese Quoten zu berechnen, nichts. Die Fakten sind eindeutig und lassen jeden Vorwurf, man trage wohl eine Revolutionskokarde unter dem Revers, wenn man diese Entwicklung beim Namen nennt, ins Leere laufen.
    Bei der Bewertung, wie schlecht oder wie gut sie für das Land ist, können die Meinungen aufeinanderprallen. Ich mache kein Geheimnis daraus, dass ich in der disparaten Einkommens- und Vermögensverteilung einen nicht ungefährlichen Spaltpilz für unsere Gesellschaft sehe.
    Die dritte Komponente, die der Schwäche des privaten Verbrauchs und damit der Binnennachfrage insgesamt zugrunde liegt, findet sich in der Entwicklung der Sparquote wieder. Sie war in Deutschland immer verhältnismäßig hoch. Sie sank von 1995 bis 2000 auf 9,2 Prozent, stieg dann wieder an und erreichte unter dem Eindruck der Krise mit über 11 Prozent einen noch höheren Wert. Die Menschen legen in unsicheren Zeiten Geld auf die hohe Kante. Sie verhalten sich höchst vernünftig - rationaler als die Politik und manchmal auch rationaler, als die Politik es sich wünscht. Damit ich nicht der

Weitere Kostenlose Bücher