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Unterm Strich

Unterm Strich

Titel: Unterm Strich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peer Steinbrück
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zu blasen.
    Entgegen allen politischen Beteuerungen, mehreren Bildungsgipfeln der Bundeskanzlerin mit den Regierungschefs der Länder und den optimistischen Reformpapieren ist Bildung immer noch kein »nationales« Projekt. Der Anteil der Bildungsausgaben am BIP beträgt in Deutschland rund 5 Prozent (nach OECD-Statistik). Im Durchschnitt der OECD-Länder belauft er sich auf über 6 Prozent. Gemessen an skandinavischen Ländern wie Finnland, Schweden und Dänemark, hinken wir sogar um 1 bis 2,5 Prozent hinterher. Auch Frankreich liegt mit 6 Prozent deutlich vor uns. Doch Relativzahlen verharmlosen die Dramatik. 1 Prozent Differenz bedeutet in absoluten Beträgen eine Unterfinanzierung von 24 Milliarden Euro. Mit anderen Worten: In den öffentlichen Haushalten müssten jährlich zusätzlich 50 Milliarden Euro mobilisiert werden, um das Ziel von 7 Prozent Bildungsausgaben am BIP im internationalen Vergleich zu erreichen, das sich die konservativ-liberale Bundesregierung im Koalitionsvertrag vom Oktober 2009 (vernünftigerweise) auf die Fahnen geschrieben hat. Wenn das aber kein riesiger Bluff sein soll, dann steht mein Nachfolger Wolfgang Schäuble - mit seinen Länderkollegen - vor gigantischen Herausforderungen.

    Ohne Bildung keine Innovationskraft. Genau die aber lässt in Deutschland nach Einschätzung internationaler Organisationen und wissenschaftlicher Institute nach. Die OECD sieht in Reformen im Bildungsbereich ein Schlüsselelement zur Steigerung der Innovationskraft in Deutschland. Ich stimme dem zu, und eine Studie des DIW kommt zu dem gleichen Ergebnis. Aber es kneift nicht allein dort. Deutschland ist spitze in Traditionsbranchen und im Bereich von Umwelt-, Effizienz- und regenerativen Energietechnologien. Aber dessen ungeachtet setzt das DIW, das seit 2005 die Innovationsfähigkeit der 17 führenden Industrienationen vergleicht, in der Ermittlung eines Innovationsindikators 2009 Deutschland nur noch auf den neunten Rang. Dieses Ergebnis stimmt im Trend mit anderen Einschätzungen überein.
    Von Bedeutung sind in diesem Zusammenhang nicht nur Reformdefizite des Bildungssystems. Es mangelt in Deutschland offenbar auch weiterhin an einer ebenso breiten wie effizienten Förderung von Forschung und Entwicklung, an der Neugründung junger, technologieorientierter Unternehmen und, damit zusammenhängend, an der Bereitstellung von Gründungs- wie auch Wagniskapital für innovative Entwicklungen. Auf einzelne Technologiefelder und ihren Stellenwert für die Wettbewerbsfähigkeit von Zukunftsbranchen will ich mich nicht kaprizieren. Es reicht die kaum widerlegbare Feststellung, dass Deutschland bei Schlüsselentwicklungen, von neuen Antriebstechnologien bis hin zu Computertechnologien, nicht im Spitzenfeld mitläuft und seine langjährige Stärke, nämlich einen ebenso dynamischen wie innovativen Verbund von moderner Industrieproduktion und zugeordneten Dienstleistungen, zu verlieren droht. Da wir aber nie billiger sein können - und wollen - als unsere Konkurrenz, ist es von strategischer Bedeutung, dass wir immer einen Schritt besser sind als sie.

    Wirtschaftswissenschaft und Politik teilen die Einschätzung, dass der Dienstleistungssektor nicht autonom sei, sondern den Strukturwandel nur in Kombination mit der Industrie vorantreibe, weshalb von der Tertiärisierung der industriellen Wertschöpfung gesprochen werde. Das Angebot von Industrieprodukten zusammen mit einer Problemlösungskompetenz, mit Beratung und Service - das mache deutsche Unternehmen international wettbewerbsfähig. Dies bedeutet, dass Deutschland seine industrielle Basis erhalten muss. Dort finden Produkt- und Systeminnovationen statt, die dann mitsamt Dienstleistungen als Problemlösungen angeboten werden können.
    Das Bild vom Strukturwandel als einer Art Aufstieg von der (schmutzigen) Industriegesellschaft zur (weißen) Dienstleistungsgesellschaft, mit einer klaren Unterscheidung zwischen dem produzierenden Gewerbe als Sekundärsektor und Dienstleistungen als Tertiärsektor, ist eine Kopfgeburt. Erstens werden uns Berater keinen auskömmlichen Wohlstand verschaffen, selbst wenn sie über die jetzt schon erreichte Armeestärke hinauswachsen. Zweitens sind die Grenzen fließend, weshalb längst von produktionsorientierten Dienstleistungen gesprochen wird. Drittens folgt daraus, dass es viele Dienstleistungen ohne Produktion gar nicht gäbe.
    Die Preisgabe industriellen Know-hows und industrieller Produktionskapazitäten zugunsten eines

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