Unterm Strich
Euro) ab. Die Bilder von den Menschenschlangen vor den Filialen dieser Bank gingen um die Welt. Mir war sofort bewusst, dass solche Bilder von Menschenansammlungen vor den Filialen deutscher Kreditinstitute zu einer weitaus dramatischeren Situation führen würden. Die Erfahrungen des 20. Jahrhunderts mit der mehrfachen Vernichtung von Sparguthaben wirken in Deutschland bis heute traumatisierend. Von den Bildern der Schlangen vor den Filialen der britischen Hypothekenbank führte ein gerader Weg zum Datum des 5. Oktober 2008, an dem Bundeskanzlerin Angela Merkel und ich eine politische Patronatserklärung für Spareinlagen gaben. Darauf werde ich noch zurückkommen.
In den USA verzeichneten in dieser ersten Phase große Investmentbanken wie Merrill Lynch und auch die Citigroup Milliardenverluste. Das prominenteste Opfer wurde die fünftgrößte Investmentbank der USA, Bear Stearns. Mitte März 2008 drohte der Zusammenbruch dieser Bank mit unübersehbaren Dominoeffekten, weshalb am Wochenende des 15./16. März die US-Notenbank und JPMorgan Chase, die viertgrößte Bank der Welt, ein Rettungspaket schnürten. Die daraus zu tragenden Verlustrisiken lagen bis zu einem Gesamtbetrag von 29 Milliarden US-Dollar bei der US-Notenbank, während JPMorgan Chase die erste Milliarde anfallender Verluste übernahm.
Die Rettung von Bear Stearns läutete im April 2008 eine zweite Phase relativer Stabilisierung an den Finanzmärkten ein, die sich später als die Ruhe vor dem Sturm entpuppte. Sorge machte die Labilität in den sogenannten Interbankenmärkten, also den teilweise sehr kurzfristigen Kreditbeziehungen zwischen Banken. Und ins Trudeln kamen die zwei führenden, staatlich unterstützten US-Wohnimmobilienfinanzierer Fannie Mae und Freddie Mac. Wieder an einem Wochenende erklärte sich deshalb die US-Regierung am 13. Juli 2008 bereit, den beiden Immobilienfinanzierern de facto unbegrenzt Liquidität und Kapital zur Verfügung zu stellen. Die Botschaft hatte durchaus Erfolg und sorgte für eine Entspannung auf den Finanzmärkten. Die relative Marktberuhigung dauerte allerdings nicht lange. Nach Meldungen über unerwartet hohe Quartalsverluste der beiden Immobilienfinanzierer brach das Vertrauen in deren nachhaltige Solvenz stark ein. Der US-Regierung blieb am 7. September 2008 keine andere Wahl, als die formelle Kontrolle über Fannie Mae und Freddie Mac zu übernehmen.
Binnen Tagen richtete sich das Krisenmanagement jetzt auf ein anderes Finanzinstitut, mit dessen Schicksal die Finanzkrise eine dramatische, überaus gefährliche Wende nahm: Lehman Brothers. In der dritten Phase der Krise, den drei Wochen zwischen dem 15. September und dem 5. Oktober 2008, stand die Finanzwelt mehrmals nur Millimeter vom Abgrund entfernt. Der Absturz hätte nicht nur zu einer Kernschmelze des Weltfinanzsystems geführt, sondern - weit darüber hinaus - die Stabilität unseres Wirtschafts- und Gesellschaftssystems bedroht. Dass ein völliger Kollaps mit der Folge einer weltweiten Depression wie nach den Ereignissen von 1929/30 verhindert werden konnte, ist auf die weitreichenden, zum Teil unorthodoxen und radikalen Maßnahmen der Regierungen und der wichtigsten Zentralbanken zurückzuführen.
Die vierte Phase ab Oktober 2008 ist durch die weltweiten Rettungsaktionen - in Deutschland durch das Finanzmarktstabilisierungsgesetz vom 18. Oktober 2008 mit einem Umfang von 500 Milliarden Euro, seinen Ergänzungen vom April 2009 und seiner Fortentwicklung im Juli 2009 - und vor allem durch eine Serie internationaler Konferenzen gekennzeichnet, aus der die G20-Finanzgipfel auf der Ebene der Regierungs- und Staatschefs herausragen. Der Kreis der 20 Staaten, die sich zu diesen Finanzgipfeln trafen, repräsentiert rund 90 Prozent der weltweiten Wirtschaftsleistung. Auf die nicht zuletzt von der Finanzkrise mit angestoßenen und beschleunigten Verschiebungen im globalen Gefüge der politischen und ökonomischen Beziehungen bin ich in den ersten Kapiteln eingegangen, sie müssen hier nicht noch einmal beleuchtet werden.
Beginnend mit dem ersten G20-Gipfel am 15. November 2008 in Washington unter der Leitung von George W. Bush, wenige Tage nach dem Sieg von Barack Obama im US-Präsidentschaftswahlkampf, gab es inzwischen insgesamt vier solcher Konferenzen auf der obersten politischen Ebene (April 2009 in London, September 2009 in Pittsburgh und Juni 2010 in Toronto). Es ist an der Zeit, politisch einzugestehen, dass diese vier Finanzgipfel und die sie
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