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Unterm Strich

Unterm Strich

Titel: Unterm Strich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peer Steinbrück
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haben.
    Quer durch Politikwissenschaft und Medien regt sich auch die Warnung, dass sich die Fiskalkrise zu einer Krise des Sozialstaates und damit zu einer Krise der sozialen Demokratie auswachsen könnte. Jenseits statistischer Effekte ist der jüngste Bericht über Kinderarmut in Deutschland alarmierend genug; das hier schlummernde Explosionspotenzial muss durch erheblich mehr öffentliche Mittel bekämpft werden. Wenn es aber wegen eines Niveauproblems der öffentlichen Haushalte (eine schwache und politisch durch Versprechen von Steuersenkungen sogar noch bestrittene Einnahmeentwicklung) und eines Strukturproblems (Versteinerung durch große Ausgabenblöcke einschließlich Zinsen) sowie wegen der zunehmenden Lasten aus der Demographie keinen Spielraum gibt, dann könnten solche Sorgen sehr schnell Wirklichkeit werden.
    Die Kombination von und Wechselwirkung zwischen Finanz-, Wirtschafts- und Fiskalkrise hat im Falle einiger Länder der EU und des Euroraums die Gestalt einer Staatskrise angenommen - gewissermaßen die vierte Dimension der Krise. Ganze Nationalstaaten sind in ihren Sog geraten. Zwar hat es in der Geschichte immer wieder einmal Staatsbankrotte gegeben, ja, einige Staaten haben mehrere Bankrotte erlebt und überstanden. Aber heute ist das Umfeld ein anderes, und im europäischen Rahmen sind wir mit Gefährdungen konfrontiert, die sich nicht einfach isolieren lassen. Die griechische Entwicklung ließ in Vergessenheit geraten, dass es mit Ungarn und Lettland Anfang 2009 bereits zwei sehr problematische Zuspitzungen innerhalb der EU gegeben hatte, die dank der Mithilfe des IWF gemeistert wurden.
    Ich erinnere mich an den kleinen Kreis, bestehend aus dem EZB-Präsidenten Jean-Claude Trichet, dem EU-Kommissar Joaquin Almunia, dem Vorsitzenden der Euro-Gruppe, Jean-Claude Juncker, meiner französischen Kollegin Christine Lagarde und mir - jeder von uns nur von einem Notetaker begleitet -, der vor den Sitzungen des Finanzministerrats (Ecofin) in einem Brüsseler Hotel die Fälle nicht nur in äußerster Diskretion diskutierte, sondern auch ohne Einsatz von Windmaschinen einer Lösung zuführte. Bilateral wurden die Kollegen aus Schweden und Finnland einbezogen. Ein ähnlich lautloses und effizientes Management hätte ich mir ab Oktober 2009 auch im Falle Griechenlands gewünscht: Das hätte uns politisch und monetär viel erspart.
    Das isländische Dilemma ist wahrscheinlich deshalb nicht mehr so gegenwärtig, weil es sich außerhalb der EU einstellte und später von der Aschewolke des Eyjafjallajökull verdrängt wurde. Innerhalb des Euroraums und der EU war Griechenland sozusagen der Vulkan, der den Verkehr lahmlegte. Zunächst muss jedoch mit zwei Märchen aufgeräumt werden. Erstens hat die Finanzkrise die Lage des Landes nicht herbeigeführt, sondern sie hatte einen beschleunigenden Effekt, wirkte wie ein Katalysator; die Ursachen aber, eine schwindende Wettbewerbsfähigkeit in Kombination mit einer exzessiven Staatsverschuldung, waren schon vorher angelegt. Die zweite Mär lautet, dass die Krise Griechenlands von Spekulanten verursacht worden sei. Das ist Unfug. Es sind weit überwiegend seriöse Finanzinstitute - etwa die Bank, die Versicherung oder der Pensionsfonds manchen Lesers -, die das Geld ihrer Kunden dort treuhänderisch angelegt hatten und denen ab Oktober 2009 der griechische Boden zu heiß wurde. Sie verhielten sich höchst rational und verantwortungsbewusst, als sie entweder keine griechischen Staatsanleihen mehr zeichneten, an deren Rückzahlung sie zweifelten, oder höhere Risikoaufschläge verlangten und sich gegen Kreditausfälle zu versichern suchten. Die Folge war eine steil anwachsende Nachfrage nach solchen Kreditversicherungsscheinen.
    Spekulanten haben diese Entwicklung gewiss befeuert und verschärft. Aber sie sind dafür nicht ursächlich verantwortlich. Spekulanten finden eine disparate Lage vor, bewerten diese und schließen darauf Wetten ab. Das muss man nicht gutheißen, aber sie verantwortlich zu machen wäre zu einfach. Mit diesem Hinweis will ich um Himmels willen nicht Spekulationen rechtfertigen, aber ich will Politik und Öffentlichkeit vor Fehldeutungen bewahren, die auch zu falschen Schlussfolgerungen führen könnten - zum Beispiel dazu, solche Kreditversicherungsscheine, im Englischen Credit Default Swaps (CDS) genannt, generell zu verbieten. Richtig ist allerdings der Einwand, dass sich ohne dieses Instrument das Risiko eines Kredits unmittelbar in seinem

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