Unterm Strich
und übertrugen sie in Zweckgesellschaften - teilweise mit Standorten, die mir nur aus dem Tourismuskatalog geläufig waren. Sie verschleierten sie damit auch gegenüber dem Blick von Aufsichtsräten, Wirtschaftsprüfern und der Bankenaufsicht. Hinzu kam, dass sie diese hochkomplexen Wertpapiere über einen Tisch handelten, der nicht beaufsichtigt wurde - außerbörslich, man kann auch sagen: unter dem Tisch. Intransparenz entstand also nicht nur durch die Produkte selbst, sondern auch durch das Marktgeschehen.
Das hielt wesentliche Teile des weltweiten Bankensystems keineswegs davon ab, sich in diesem Schattenreich an der Jagd nach einer guten Rendite zu beteiligen. Gestützt auf die Voten von Rating-Agenturen, kauften alle diese Produkte - und infizierten sich mit ihren Risiken. Die Intransparenz, also Ahnungslosigkeit hinsichtlich des eigentlichen Risikopotenzials, feuerte den Markt noch weiter an und ließ die Blase gigantische Ausmaße annehmen. Weil man die Risiken in diesen Produkten nicht kannte, glaubte man, es gebe keine.
In der Krise erwies sich genau diese Intransparenz als verheerend, denn aufgrund der Komplexität der Produkte wusste keiner mehr genau, wer denn welche Risiken gekauft hatte. Keiner vertraute mehr dem anderen, weil niemand einschätzen konnte, wie viele Zombies auf dessen Bilanz ihr Unwesen trieben. Viele überblickten nicht einmal ihre eigenen Bücher und brauchten Monate, um diese mit teilweise schweren Gesundheitsschäden zu desinfizieren. Die wichtigste Kategorie im Finanzgeschäft verflüchtigte sich in einer Nebelwolke: Vertrauen. Das Systemrisiko hatte sich bis zum Kollaps gesteigert und war nur noch durch staatliches Handeln einzudämmen.
Vor der Krise war die Bonität der Papiere von den Rating-Agenturen als hoch eingeschätzt worden. Das lag zum einen wohl daran, dass die Erfahrungen mit der Verbriefung von Subprime-Krediten gering und auf eine Phase mit einer guten wirtschaftlichen Entwicklung begrenzt waren. Es lag aber auch an der modelltheoretischen Annahme, dass man die Ausfallrisiken der unterschiedlich strukturierten Produkte oder Verbriefungen als voneinander unabhängig ansah. Anders formuliert: Man schloss Kaskadeneffekte oder gar einen systemischen Zusammenbruch einfach aus. Schließlich und vor allem lag es daran, dass die Rating-Agenturen am Verkauf strukturierter Produkte indirekt mitverdienten, denn sie berieten die Banken bei der Strukturierung dieser Produkte und gaben ihnen dann ihr Gütesiegel. Je zahlreicher und je unterschiedlicher die Produkte waren, umso mehr verdienten sie.
Europäischen Banken bot diese Finanzinnovation die Gelegenheit, am Verbriefungsgeschäft teilzuhaben. Diese Banken hatten keinen guten Zugang zu amerikanischen Hypothekenkrediten. Deshalb griffen sie jetzt auf solche forderungsbesicherten Wertpapiere nur allzu begierig zurück. Einige bündelten diese wieder zu neuen Produkten, um sie weiterzuverbriefen. Insbesondere deutsche Landesbanken engagierten sich mit Begeisterung im Verbriefungsgeschäft; schließlich hatten sie im Juli 2005 mit der Anstaltslast und Gewährträgerhaftung zwei Staatsgarantien verloren, was ihr Geschäftsmodell noch weiter durchlöcherte. Nachdem ihnen die EU-Kommission diese beiden Privilegien in einer Verständigung vom Juli 2001, an der ich als Landesfinanzminister beteiligt war, bestritten hatte, versäumten die Landesbanken und Länder in einer vierjährigen Übergangsphase eine Konsolidierung ihres Sektors. Stattdessen pumpten sie sich mit billiger Liquidität voll und investierten diese in hochkomplexe Produkte, von denen sie eigentlich keine Ahnung hatten.
In diesen Jahren machte es die scharfe Konkurrenz den Banken, Investmentgesellschaften und Hedgefonds immer schwerer, ihren hohen Renditevorgaben gerecht zu werden. Um gleichwohl eine hohe Eigenkapitalrendite zu schaffen, arbeiteten sie mit einem immer höheren Kredithebel. Das Problem dabei war und ist: Bank- und Fondsmanager sind nur an den Gewinnen beteiligt, etwaige Verluste müssen von den Anlegern, den Kreditgebern, den Aktionären der Bank - und nun vielfach auch vom Steuerzahler - geschultert werden. Haftung und Risiko - ein Grundprinzip der Marktwirtschaft - fielen und fallen weiterhin immer deutlicher auseinander. Wir wissen heute, dass dies viele Bank- und Fondsmanager dazu verleitete, übergroße Risiken ohne Rücksicht auf die Folgen einzugehen.
Bis vor kurzem schien diese finanzielle Alchemie allen Beteiligten nur Vorteile zu
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