Unterm Strich
bieten: Die Anleger stürzten sich begierig auf die verschiedenen strukturierten Produkte, die ihnen - scheinbar ohne höheres Risiko - eine im Vergleich mit anderen Papieren oder Staatsanleihen zum Teil deutlich höhere Verzinsung in Aussicht stellten. Und die Finanzinstitute verdienten an den Produkten, die es ihnen zudem erlaubten, Kreditrisiken zu verteilen und zu reduzieren und dadurch Eigenkapital zu schonen.
Nur sehr wenige Kundschafter, die an zwei Händen abzuzählen sind, können für sich glaubhaft in Anspruch nehmen, vor Ausbruch der Krise nicht nur geahnt, sondern darauf hingewiesen zu haben, dass die Rating-Agenturen und die Marktteilnehmer mit ihren Risikoeinschätzungen danebenlägen und den Banken mit dem risikoreichen Geschäft außerhalb ihrer Bilanzen über Zweckgesellschaften ein böses Erwachen drohe. Kaum jemand hat diese hellsichtige Analyse nach dem Motto »Vorsicht an der Bahnsteigkante« allerdings mit dem konkreten Vorschlag tiefer Markteingriffe verbunden, um die Zündschnur auszutreten und das Systemrisiko darüber in den Griff zu bekommen.
Damit kein Missverständnis aufkommt, will ich der Selbstkritik hier nicht ausweichen. Auch die Politik hat sich in Deutschland zu lange der angloamerikanischen Deutungshoheit entfesselter Finanzmärkte ergeben. Dabei spielte immer auch die Frage eine Rolle, wie Frankfurt als größter Bankenplatz einigermaßen Anschluss halten könne an die anderen großen Finanzzentren der Welt, insbesondere an London und New York. Außerdem schien es nicht ratsam, dass eine der größten Realökonomien der Welt einen im internationalen Vergleich eher unterentwickelten Finanzsektor aufweist. Diese beiden Orientierungen - wie halte ich das Finanzzentrum Frankfurt einigermaßen auf Augenhöhe mit der City of London und der Wall Street, und wie trage ich dazu bei, dass der Finanzdienstleistungssektor in Deutschland in etwa dem Gewicht der Realwirtschaft entspricht - waren ein wesentlicher Impuls dafür, dass sich die Politik in Deutschland für Marktliberalisierungen offen gezeigt und der Schattenwelt - vielleicht besser: den Zauberkunststücken - der Banken sehr stark Raum gegeben hat.
Kritikern halte ich allerdings entgegen, dass sie leicht vergessen, mit welcher Vehemenz in den letzten zehn Jahren Wirtschaftswissenschaftler, Wirtschaftsjournalisten und sonstige Verfechter des angloamerikanischen Verständnisses von Finanzwirtschaft für eine noch stärkere Marktliberalisierung und Deregulierung eintraten einige bis zum heutigen Tag. Ich kann mich auch nicht erinnern, dass nennenswerte Stimmen oder Gruppen des Bankensektors selbst, der Wirtschaftswissenschaften oder der politischen Konkurrenzfirmen, von denen ich später viele schlaue Rathausbesucher kennengelernt habe, vor Ausbruch der Krise im Sommer 2007 die Bundesregierung oder generell die Politik aufgefordert hätten, sich national wie international für eine rigidere Regulierung und Aufsicht starkzumachen. Im Gegenteil: In einer stramm marktwirtschaftlich ausgerichteten Überzeugung wurden die Initiativen der Bundesregierung - wie zum Beispiel die Zulassung von Hedgefonds - nicht etwa kritisiert und parlamentarisch abgelehnt, weil sie einen zu weiten Rahmen steckten, sondern weil die Auflagen als zu einschränkend empfunden wurden.
Die erste Phase der Finanzkrise beginnt mit ihrem Ausbruch im Sommer 2007 und reicht etwa bis in den März 2008. Sie ist davon geprägt, dass das Problem der Subprime-Kredite kaskadenartig immer weitere Kreise zog und über die komplexen Verflechtungen zwischen den Kredit- und ihren Refinanzierungsmärkten zu einer Erschütterung des gesamten Finanzsektors führte. Die Verluste bei den zweit- und drittklassigen Hypotheken deckten gnadenlos die Schwachstellen im Finanzsystem auf, vor allem hohe Schuldenquoten von Banken zur Steigerung ihrer Eigenkapitalrenditen und die Vielzahl außerbilanzieller Zweckgesellschaften, die längerfristige Forderungen mit vermeintlich geringem Risiko kurzfristig refinanzierten. Das brach in sich zusammen.
In Deutschland forderte die Krise in dieser Phase ihre ersten Opfer: Die IKB Deutsche Industriebank und die SachsenLB stürzten in existenzbedrohende Krisen. Auch die Bayerische Landesbank und die WestLB mussten Milliardenverluste hinnehmen. In Großbritannien konnte sich die viertgrößte Hypothekenbank, Northern Rock, nicht mehr refinanzieren. Im September 2007 zogen die Kunden in wenigen Tagen 3 Milliarden Britische Pfund (rund 4,35 Milliarden
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