Unterm Strich
vorbereitenden Treffen der G20-Finanzminister nicht den Konsens hergestellt und vor allem nicht zu den Maßnahmen geführt haben, die der ursprünglich erklärten Absicht entsprachen, dass kein Finanzmarktteilnehmer, kein einzelner Finanzmarkt und kein Finanzmarktprodukt mehr außerhalb einer Regulierung und Aufsicht stehen solle.
Nicht nur über die Abläufe und Entscheidungen während der dramatischen Wochen im September/Oktober 2008, sondern auch zu den anschließenden Bemühungen um Krisenmanagement und Krisenprävention sind zahlreiche, zum Teil sehr gut recherchierte Darstellungen und Chronologien erschienen - in Deutschland vor allem im Spiegel, in der Süddeutschen Zeitung und in der Frankfurter Allgemeinen. Denen habe ich weder im Sinne lexikalischer Vollständigkeit noch zur Erklärung komplexer Vorgänge auf den Finanzmärkten etwas hinzuzufügen. Ich möchte mich im Folgenden auf meine persönlichen Eindrücke und Schlussfolgerungen beschränken.
Die vier Gesichter der Krise
Was mit der Finanzkrise im Sommer 2007 begann, ist inzwischen in Dimensionen gewachsen, die über den Erfahrungshorizont der Krisen seit Ende des Zweiten Weltkriegs hinausweisen. Es beeindruckt mich umso mehr, dass angesichts dieser Dramatik die Reaktionen der deutschen Öffentlichkeit erstaunlich unaufgeregt sind und damit auf erfreuliche Weise all jene widerlegt werden, die nur geringes Vertrauen in die »Stressfähigkeit« der deutschen Gesellschaft haben und ihre Anfälligkeit für Irrationalitäten fürchten. Diese Unaufgeregtheit mag damit zusammenhängen, dass die Folgen der Krise sich unterschiedlich bemerkbar machen und sich nicht auf alle Bereiche der Gesellschaft gleichermaßen verteilen.
Nach Jahrzehnten der Einübung in die Mechanismen der offenen Gesellschaft ist es um die Festigkeit und Gelassenheit der Bürger offenbar gut bestellt; außerdem scheinen die Sicherheitssysteme in unserem Haus ganz gut zu funktionieren und den Schaden zu begrenzen.
Dass die Finanzkrise auf die Realökonomie überspringen würde, war zu erwarten. Der Welthandel und die Weltkonjunktur brachen ein. Viele Länder erlitten eine Rezession, die im deutschen Fall mit einem Minus von 5 Prozent der Wirtschaftsleistung im Jahr 2009 um ein Vielfaches den bisher schärfsten Einbruch von minus 0,9 Prozent im Jahr 1975 übertraf. Das letzte Quartal des Jahres 2008 und das erste Quartal 2009 waren deshalb politisch von einer einzigen Frage bestimmt: ob es gelingen würde, sich dieser Finanz- und Wirtschaftskrise entgegenzustemmen. Das Ergebnis waren der Bankenrettungsschirm in Höhe von 500 Milliarden Euro und die Konjunkturprogramme in Höhe von insgesamt 80 Milliarden Euro (plus den sogenannten automatischen Stabilisatoren), die sich in die international verabredeten Aktivitäten einpassten.
Eine Milliarde wurde in diesen Wochen und Monaten zur kleinsten Recheneinheit der Republik. Aber das Erstaunen, dass über der Stabilisierung und den stimulierenden Maßnahmen die Staatsverschuldung wächst und eine »Rekordverschuldung« zu verzeichnen ist, konnte nur jemandem in die Kleider fahren, dem die Grundrechenarten und die fiskalischen Zusammenhänge ein Buch mit sieben Siegeln sind.
Dementsprechend erwischte uns im Zuge der Finanz- und Wirtschaftskrise eine Fiskalkrise. Alle öffentlichen Haushalte stehen unter einem extremen Druck von Leistungskürzungen und/oder Einnahmeverbesserungen, um einigermaßen wieder ins Lot zu kommen - besonders auch die kommunalen Haushalte, die 60 Prozent der öffentlichen Investitionen tätigen und die 2010 mit einem zu erwartenden negativen Finanzierungssaldo von etwa 15 Milliarden Euro abschließen dürften. Die deutsche Staatsverschuldung geht auf 1,7 Billionen Euro hoch, wird in den Nachwehen der Krise weiter steigen und schon im Jahr 2011 auf über 80 Prozent der gesamten Wirtschaftsleistung hochschnellen. Das ist im internationalen Vergleich noch relativ (!) moderat. Auf der anderen Seite sollten wir nicht vergessen, dass eine solche Schuldenstandsquote, wie Kenneth Rogoff gezeigt hat, die Wachstumsentwicklung eines Landes beeinträchtigt. Bei mäßigem Wachstum steigt der Anteil der Zinsen an den öffentlichen Haushalten immer weiter - womit der Spielraum für Zukunftsinvestitionen wie beispielsweise Bildung immer enger wird. Eines Tages werden die nachfolgenden Generationen eine geharnischte Anklageschrift formulieren, weil wir ihnen das Erbe eines gewaltigen Kapitaldienstes auf die Schultern gelegt
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