Unterm Strich
Gesetzmäßigkeiten scheint sich jeder politischen Kontrolle zu entziehen. Und hier erhebt sich die zentrale Frage nach dem Primat der Politik: Ist sie in der Lage, Einfluss zurückzugewinnen, oder unterliegen wir bereits unwiderruflich dem Primat der Ökonomie?
Die Demokratie kommt über die gegenwärtige Krise in einen doppelten Stresstest. Sie muss einerseits den Bürgern erklären, dass das herkömmliche Wachstumsparadigma in der Folge der Krise gestört, ja prinzipiell in Frage gestellt sein könnte. Und sie ist den Bürgern auf der anderen Seite den Beweis schuldig, dass es nicht anonyme Wirtschaftskräfte und die Kalküle eines brutalen Finanzkapitalismus sind, welche den Weltenlauf und ihre persönlichen Lebensverhältnisse bestimmen, sondern dass demokratisch legitimierte Institutionen und deren Repräsentanten die Kraft und den Gestaltungswillen haben, das Ruder wieder in die Hand zu nehmen. Die vier Dimensionen der Krise haben sich (bisher) nicht zu einer Krise der Demokratie verdichtet. Aber der Stress und der Legitimationsdruck für die Demokratie nehmen zu.
Dazu trägt nicht zuletzt die bisher ungelöste Frage bei, wer die Kosten der Krise zu tragen hat. Nachdem die Banken untereinander kein Vertrauen mehr hatten und sich das Vertrauen vom Staat in Form eines Rettungspakets von 500 Milliarden Euro allein in Deutschland leihen mussten, war es die Aufgabe der Politik, jedes Abgeordneten in seinem Wahlkreis und jedes Mitglieds der Bundesregierung vor den Mikrophonen, diesen einmalig hohen staatlichen Einsatz öffentlich zu erklären und zu vermitteln. Es kann dem Bürger nicht abverlangt werden, im Rahmen dieser gigantischen Summen Garantien, Eigenkapitalzuschüsse und Risikoübernahmen zu unterscheiden und dann auch noch zu verstehen, dass er auf seine berechtigte Frage, mit welchen Fälligkeiten, eventuellen Risiken und tatsächlichen Belastungen für die Staatskasse - also für ihn als Steuerzahler - zu rechnen sei, keine einfachen Antworten bekommt. Kleben bleiben 500 Milliarden Euro, eine Summe, deren unendlich viele Nullen auf die eigene Lebensumgebung gespiegelt werden: auf die renovierungsbedürftige Schule der Kinder, die fehlende Umgehungsstraße zur Lärmminderung, den knappen Hartz-IV-Regelsatz, die ausgebliebene Rentenerhöhung, den abgewiesenen Betriebsmittelkredit für einen Handwerker oder die geschlossene Stadtbücherei.
Die Erläuterung, warum der Bankensektor stabilisiert werden musste, konnte gelingen, weil sie den Stellenwert der Banken für die Versorgung von Wirtschaft und Gesellschaft mit dem Lebenssaft Geld oder Kapital zu beschreiben wusste. Vom Rentner mit seinen Rentenansprüchen über den Sparer mit seinen Anlagen, den Häuslebauer mit seiner Hypothek, den Arbeitnehmer mit den fremdfinanzierten, Arbeitsplätze schaffenden Investitionen seines Unternehmens bis hin zum Gewerbetreibenden mit seiner Kreditlinie - jeder konnte verstehen, dass ein stabiler und funktionsfähiger Finanzdienstleistungssektor von existenzieller Bedeutung ist und sich nicht für irgendwelche Experimente eignet, an deren Ende ein Herzinfarkt der Geld- und Kreditwirtschaft stehen kann.
Das Verständnis der Bürger geht aber keineswegs so weit, dass sie bereit sind, auch noch die Lasten aus der Krise zu übernehmen. Sie haben den Eindruck, dass die staatlichen Hilfen nicht an die Geschädigten der Krise fließen, sondern an die Verursacher. Die Frage, ob es gelingt, das Bankensystem angemessen an den Folgekosten der Krise zu beteiligen, wird darüber entscheiden, ob die Politik Vertrauen zurückgewinnt. Über Instrumente kann man lange streiten. Ich fand und finde es einleuchtend, ausnahmslos jedes Finanzgeschäft so zu behandeln wie eine Handwerkerdienstleistung, nämlich mit einer Art Mehrwertsteuer zu belegen. Der kompliziertere Begriff dafür lautet Finanzmarkttransaktionssteuer. Wenn sich darüber, wie es aussieht, im G20-Kreis keine Einigkeit herstellen lässt und im Europa der 27 mit einer seit jeher spezifischen Position Großbritanniens ebenfalls kein Fortschritt zu erzielen ist, dann wird sich die deutsche Politik mit ihrem ganzen Gewicht auf die Eurozone konzentrieren und Verbündete für die Einführung einer solchen Steuer suchen müssen. Bleibt es bei dem jetzigen Zustand, der die Banken weitgehend - die in Rede stehende, umstrittene Bankenabgabe ist weder qualitativ noch quantitativ ein Ersatz - von den Kosten für die Aufräumarbeiten freistellt, und werden die ersten Gewährleistungen zu
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