Unterm Strich
diesem Wochenende erreichte die Finanzkrise mit voller Wucht deutschen Boden. In einem Telefonat am Samstag teilte mir mein damalig zuständiger Abteilungsleiter, der spätere Staatssekretär Jörg Asmussen, mit, dass die Bankenaufsichtsbehörde BaFin mit einem Moratorium für die Mittelstandsbank IKB am Montag drohe, falls der IKB kein neues Kapital zugeführt werde. Ich befand mich im Urlaub zu Hause in Godesberg und - dem Himmel sei Dank - nicht am Nordkap, auf Sizilien oder auf der Hallig Hooge. Denn es begann das erste von mehreren Wochenenden, die wir später die regulatorischen Wochenenden nennen sollten. Warum immer wieder Wochenenden? Die Märkte haben geschlossen. Daher standen rund 48 Stunden für eine Lösung ungestört zur Verfügung, bevor in der Nacht von Sonntag auf Montagmorgen unserer Zeit die asiatischen Börsen wieder öffneten und alle globalen Marktentwicklungen seismographisch in Echtzeit registrierten.
Die IKB war mit einer Bilanzsumme von etwa 64 Milliarden Euro eine verhältnismäßig kleine Bank im Vergleich zu dem, was noch kommen sollte. Anders als vielfach unterstellt, war sie keine öffentlich-rechtliche Bank, sondern eine Aktiengesellschaft. Der Bund hielt über die Staats- und Förderbank KfW mit 38 Prozent der Aktien keine Mehrheit an der IKB. Und entgegen späteren Legenden hatte er sich um dieses Aktienpaket auch keineswegs gerissen, sondern es in Ermangelung anderer Interessenten im Jahr 2001 von der Allianz und der Münchener Rück gekauft. Der Aufsichtsrat der IKB las sich wie ein »Who's who« der deutschen Wirtschaft; allerdings wurde dem Vertreter des Bundes, Jörg Asmussen, in der eisenhaltigen Luft politischer Auseinandersetzungen später eine Schlüsselrolle im Aufsichtsrat angedichtet und verbreitet, er hätte, anders als seine Kollegen in diesem Gremium, alles und jedes wissen müssen.
Inwieweit und aus welchen Motiven die Sperrung von Kreditlinien der IKB durch die Deutsche Bank zur Verschärfung der Situation Ende Juli 2007 beigetragen hat, kann ich schlicht nicht beurteilen. Alle Recherchen, von denen ich weiß, ergeben keine Eindeutigkeit. Generell gilt, dass ab Mitte 2007 zunächst nur Teilsegmente des deutschen Finanzmarkts von den Ausfällen bei Subprime-Hypotheken betroffen waren, nämlich Banken mit umfangreichen Kreditzusagen für Zweckgesellschaften. Diese Kreditlinien nahmen Zweckgesellschaften nun in Anspruch und versetzten damit der IKB als erster Bank in Deutschland einen Torpedo. Offenbar glaubte der damals zuständige Vorstand, ausgerechnet im Verbriefungsgeschäft - also außerhalb des eigentlichen Geschäftsfelds der Mittelstandsfinanzierung von Industrieunternehmen und vor allem auch außerhalb der Bilanz - den eigentlichen Gewinn erwirtschaften zu müssen.
Zugegeben, ich gehörte nicht wie Brooksley Born, die frühere Chefin der US-Aufsichtsbehörde für den Terminhandel, William White, der jahrelange Chefökonom der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ), Dean Baker, der Gründer eines US-Forschungsinstituts, Warren Buffett, das »Orakel von Omaha«, oder die Ökonomie-Professoren Robert Shiller und Nouriel Roubini zu denjenigen, die Exzesse auf dem US-Immobilienmarkt, eine gigantische Kreditblase und die Sprengkraft der immer weiter ausdifferenzierten Verbriefungen von Hypothekenschulden vorhergesehen haben. Zugegeben, so weit reichte mein Radar nicht. Anderen fachlich beschlagenen Beobachtern und Marktakteuren ging es ebenso. Das ist aber kein Trost.
Immerhin war die Regierung der großen Koalition über die extremen Hebelwirkungen mit wenig Eigenkapital, die Risikopotenziale und auch den Verfall von Moral im sogenannten unregulierten Markt, wie insbesondere der Hedgefonds, so besorgt, dass sie mit Beginn ihrer EU- und G7-Präsidentschaft Anfang 2007 die Regulierung dieses Segments der Finanzmärkte auf die Tagesordnung setzte. Die erste Gelegenheit zu einer ausführlichen Besprechung ergab sich auf dem G7-Treffen der Finanzminister am 9./10. Februar 2007 in Essen, für das Berthold Beitz die Villa Hügel als beeindruckendes und geschichtsträchtiges Ambiente zur Verfügung gestellt hatte. Ich kam mir auf diesem Treffen vor, als ob ich in Watte boxte. Nennenswerte Unterstützung bekam ich lediglich von meinem französischen Kollegen Thierry Breton. Alle anderen, mit den Angloamerikanern an der Spitze, entzogen sich freundlich, aber bestimmt jeder konkreten Verabredung. Mehr als eine Verfügung, die Fragen an das sogenannte Financial
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