Unterm Strich
Finanzmarktstabilisierungsgesetzes und die Gewährleistungen der EU-Staaten, unter anderem für Länder wie Griechenland, der Deutschen Bank AG einen Abschreibungsbedarf von 25 bis 30 Milliarden Euro erspart haben. Wären all diese Maßnahmen nicht erfolgt, hätte darüber sogar die Eigenkapitalausstattung der Deutschen Bank zum Problem werden können. Mit anderen Worten: Angesichts der vielen indirekten Vorteile aus diversen staatlichen Rettungspaketen sollte der Verzicht auf eine Inanspruchnahme direkter staatlicher Unterstützungsmaßnahmen nicht so lustvoll überbetont werden.
Donnerstag, 2. Oktober 2008/Freitag, 3. Oktober 2008
Das erste Krisenwochenende zur Hypo Real Estate vom 26. bis 29. September 2008 ist fast im Stundentakt beschrieben worden und nicht zuletzt im Parlamentarischen Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestages zur Rettung dieser Bank - wie alle anderen Abläufe und Entscheidungen auch - dargestellt und hinterfragt worden. Nach bilateralen Kontakten zwischen Herrn Ackermann als inoffiziellem Verhandlungsführer der Bankenseite und mir am späten Abend des 28. September 2008 und einem anschließenden Telefonat der Bundeskanzlerin mit mir einigten sich Herr Ackermann und die Bundeskanzlerin gegen 01:00 Uhr am Montagmorgen auf eine Bankenbeteiligung von 8,5 Milliarden Euro an der Rettung der HRE, bei einer Kreditzusage von insgesamt 35 Milliarden Euro. Davon sollten 20 Milliarden Euro vom Bund und 15 Milliarden Euro von der Finanzwirtschaft mit einer Risikoaufteilung von 60 zu 40 kommen, was die Haftung der deutschen Finanzwirtschaft auf ebendiese 8,5 Milliarden Euro begrenzte.
Es waren harte Verhandlungen gewesen, die durchaus hätten scheitern können. All jene, die den Beitrag der Banken als unzureichend kritisierten, seien daran erinnert, dass diese 8,5 Milliarden Euro mehr waren als der gesamte Gewinn aller deutschen Privatbanken im Jahr zuvor. Im Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestages über die HRE-Rettung sagte der frühere Vorstandsvorsitzende der HypoVereinsbank, Wolfgang Sprißler, im Sommer 2009: »Wenn der vorherige Zusammenbruch der amerikanischen Investmentbank Lehman Brothers einen Tsunami ausgelöst hat, dann wäre eine HRE-Pleite mit Armageddon zu beschreiben gewesen.«
Wenige Tage später, entweder im Rahmen der deutsch-russischen Konsultationen in Sankt Petersburg am Donnerstag, dem Oktober 2008, oder nach meiner Rückkehr am Freitag, dem Oktober 2008, erreichte mich die Nachricht, dass der Liquiditätsbedarf der HRE von 35 auf 50 Milliarden Euro gestiegen sei. Auf Bitte der Bankenaufsicht waren Spezialisten der Deutschen Bank AG nach Dublin zur HRE-Tochter Depfa gereist und hatten bei ihren Prüfungen ein bis dahin von der HRE nicht erkanntes oder nicht offengelegtes Risiko gehoben. Ein weiterer Liquiditätsbedarf von 15 Milliarden Euro! Innerhalb von vier Tagen! Das war einer jener Momente, in denen ich - Erinnerungen an den Ort sind gelöscht - dringend einen Stuhl brauchte, um innezuhalten und alle Gedanken abzuwehren, die mich in einen Schlund der Vergeblichkeit und Ausweglosigkeit ziehen wollten.
Ich war fassungslos über den Bankenvorstand der HRE, der eine Krisenrunde erstklassiger Zusammensetzung und eine Bundesregierung bis hinauf zur Kanzlerin ein ganzes Wochenende mit einem 35-Milliarden-Euro-Loch in der Bilanz beschäftigt hatte - und vier Tage später einen weiteren Liquiditätsbedarf von 15 Milliarden Euro zugeben musste. Spätere Exkulpationen versuchten dann auch noch, für dieses Stück aus dem Tollhaus mir eine Schelle ans Bein zu binden! Ich fühlte mich getäuscht von dem damaligen Vorstandsvorsitzenden der HRE, Georg Funke, und mich interessiert bis heute brennend die Frage, ob dieser Mann bereits nach dem ersten Krisenwochenende wusste, dass die dort zugesagten Kredite nicht ausreichen würden. Am Montag, dem 29. September 2008, erklärte er öffentlich, dass die Bank gerettet und ihr Kapitalbedarf »auf absehbare Zeit abgedeckt« sei.
Die Verhandlungen des Bankenkonsortiums über die Verteilung des vom Bankensektor zu übernehmenden Anteils von 8,5 Milliarden Euro wurden wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage beendet. Die Bankenaufsicht gab am Samstag, dem 4. Oktober 2008, eine sogenannte Ad-hoc-Meldung heraus, dass die Rettungsaktion gescheitert sei. Ich lud zur zweiten Krisensitzung in Sachen HRE für Sonntag, den 5. Oktober 2008, ein.
Sonntag, 5. Oktober 2008
Die zweite Krisensitzung endete an diesem Sonntag gegen 23:00
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