Unternehmen CORE
trottete.
Im Sand traf er auf alte Fußspuren, die vom Wind etwas verweht, vom Regen allerdings unberührt waren. Er folgte ihnen in den Canyon hinein. Die Wände taten sich auf, in der Ferne erkannte er die schimmernde Playa; darauf den hohen Bohrturm. Er kam schneller, als er erwartet hatte, an den äußeren Zaun. Wenn sie Minen ausgelegt hatten, dann hier. Die Fundamente des Zauns waren ausgewaschen; jeder, der wollte, konnte darunter hindurchschlüpfen. Lausige Sicherheitsvorkehrungen? Eine Falle? Er hatte nicht die Zeit, sich darüber Gedanken zu machen.
Leidy stocherte mit seinem langen Stecken im Sand. Keine Minen, nicht das geringste Anzeichen. Er rollte sich unter dem Zaun durch, und dann unter dem inneren Zaun. Er mußte seine Drahtschere nicht benutzen. Wieder prüfte er mit einem Ende seines Erlensteckens den Sand vor ihm und zwang sich dazu, nicht über die fehlenden Minen und die Löcher im Zaun nachzudenken; größere Sorgen bereitete ihm die Zeit, die ihm davonzulaufen schien.
Er warf den Stecken weg und bewegte sich durch die Ausschwemmungen, die sich den Abhang hinabzogen. Er war sich sicher, daß er wußte – von den Karten und Satellitenfotos –, wo er sich befand. Er konnte Karten und Satellitenfotos lesen. Er wußte, wie weit er zu gehen hatte, um das Haus seines Vaters zu finden.
Als Marta und Leidy nach Israel abreisten, blieb Gregor Mattasow in Texas zurück; er war beunruhigt, dachte nach, erinnerte sich. Er saß in seiner Bude – sie war im besten Western-Stil ausgeschmückt, eine Winchester hing an der Kieferpaneele, sein Sessel war mit dem Fell eines ungeborenen Pinto-Fohlen überzogen, seine Stiefel standen auf einem Navajo-Vorleger, der auf dem mexikanischen Kachelboden lag. Er betrachtete durch die Glasschiebetüren, wie die Sonne langsam am westlichen Horizont der Kalksteinebene versank, weit hinter der Veranda. Wäre er in besserer Stimmung gewesen, hätte er eine CD der Sons of the Pioneers aufgelegt.
Er war in keiner guter Stimmung. Er wälzte Gedanken; warum er sich in einem für ihn viel zu großen Haus befand, in einem Land, das eine Legende war, wenn man es von der Ferne sah, das jedoch eigentlich kaum romantischer war als Sibirien.
Gregor war, was die Russen abschätzig einen Zhopnik nannten, was nicht nur einen Homosexuellen bezeichnete, sondern einen Arschschlecker; er zog das Wort schwul vor. Kein Geheimnis darum, und keiner seiner Kollegen hielt es für erwähnenswert, außer zu diesen seltenen Gelegenheiten, wenn jemand versuchte, ihn mit einem Rendezvous aufzuziehen. Nur wegen seiner Eltern im transkaukasischen Georgien hüllte sich Gregor in Stillschweigen.
1975 war der junge Gregor nach einer langen Odyssee in New York gelandet; er kam ohne Eltern, Geschwister, Onkeln, Tanten oder Cousins an. Aber während er die neugewonnene persönliche Freiheit genoß, liebte er weiterhin seine Familie und hoffte inständig, sie wiederzusehen. Sie hätten sein Leben nicht verstanden, so fürchtete er, aber mit einem Fuß war er immer auf dem Sprung.
Während der Breschnew-Jahre war sein Heimatland für ihn verschlossen, mit dem Beginn von Glasnost und der Perestroika kehrte er für ein Wiedersehen, das drei Wochen dauerte, freudig nach Tiflis zurück. Niemand fragte ihn über sein Privatleben aus oder wollte wissen, warum er kein verheirateter Mann sei mit Frau und Kindern; vielleicht verstanden sie mehr, als er zu wissen glaubte. Vielleicht vergaben sie ihm, oder vielleicht liebten sie ihn auch einfach nur.
Er war bereits wieder in Moskau, auf dem Rückweg in die Vereinigten Staaten, als die Unruhen in Georgien ausbrachen. Er sagte seinen Flug nah New York ab und versuchte drei Tage lang, telefonisch nach Tiflis durchzukommen, um etwas von seiner Familie zu erfahren.
Während dieser angespannten Tage wohnte er im Appartement eines früheren Kollegen, eines Funktionärs im Geologieministerium, dessen Frau mehr und mehr ihren Unmut äußerte über Gregors nächtliche Anwesenheit auf der Wohnzimmercouch. Während seiner vierten Nacht, die er dort verbrachte, klingelte das Telefon; die Frau stolperte ins Zimmer und nahm den Hörer ab; verärgert warf sie ihm den Hörer hin. Der Anruf war für Gregor; der Mann am anderen Ende der Leitung war Vasily Sergejewitsch Roginsky.
Gregors Verwandte waren in Sicherheit, berichtete Vasily; er persönlich hatte veranlaßt, daß sie in Armeebaracken Unterkunft finden konnten, weit weg von den Breschnew-Gangstern, die die
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