Unternehmen Hongkong
machte.
»Das weiß ich noch nicht«,
erwiderte ich. »Wenn der richtige Zeitpunkt gekommen ist. Vorher muß ich noch
verschiedenes in Erfahrung bringen. Wenn ich mich darauf verlassen kann, daß
Sie jederzeit startbereit sind. Das ist die Hauptsache .«
» Gestern abend haben die >Brüder der Goldenen Lilie<
versucht, Tess aus dem Weg zu räumen«, stellte er nüchtern fest. »Und sie
werden es wahrscheinlich nicht bei diesem einen Versuch bewenden lassen. Je
länger wir in Hongkong bleiben, desto größer ist das Risiko .«
»Das ist sicher«, stimmte ich zu. »Wir brechen auf, so bald es möglich ist — das
garantiere ich. Im Augenblick interessiere ich mich vor allem für die Kwan-Po-Bucht .«
»Warum ?« fragte Tess.
Corvo drückte jedem von uns ein
Glas in die Hand und setzte sich. Ich zündete mir eine Zigarette an.
»Sie haben eine Karte, auf der
klar und deutlich zu sehen ist, wo die Million liegt ?« fragte ich.
»Stimmt .« Corvo nickte. »Wir haben eine Karte .«
»Woher haben Sie die ?«
Einen Augenblick sahen sich die
beiden an.
»Weshalb sollen wir es ihm
nicht sagen ?« meinte Tess. »Ich glaube, Andy hat ein
Recht darauf, die Vorgeschichte zu erfahren. Uns kann es nicht schaden, wenn er
Bescheid weiß .«
»Wahrscheinlich nicht«, brummte
Corvo. Gemächlich steckte er sich eine seiner dünnen Zigarren an.
»Die Geschichte stammt von
Carter«, begann er. »Carter war Kriegsgefangener der Japaner. Er lernte einen
Mitgefangenen kennen, der Flieger gewesen war. Er hieß Dove. Er hatte einen der
Oberbonzen der nationalchinesischen Bewegung aus China herausgeflogen, und der
Bursche hatte ein Vermögen mitgehen lassen. Das Flugzeug hatte Maschinenschaden
und mußte in der Nähe der Kwan-Po-Bucht notlanden. Bei der Notlandung wurde der
Chinese getötet. Dove wußte, daß ihm nicht viel Zeit blieb. Er mußte mit der
Gefangennahme rechnen. Er versenkte das Geld in der Bucht. Später, in der
Gefangenschaft, hielt er nicht durch, und als die Japaner ihm ein relativ
bequemes Leben boten, unter der Voraussetzung, daß er für sie als Radiosprecher
arbeitete, nahm er an. Alles war in Butter, bis die Japaner den Krieg verloren.
Ein Kriegsgericht der Vereinigten Staaten verurteilte Dove zu sechzehn Jahren.
Er wurde in die Staaten zurückgebracht, um seine Strafe abzusitzen. Die ganzen
Jahre war er nur von einem Gedanken besessen — daß er nach seiner Freilassung
nach China zurückkehren und das Geld holen würde .«
Corvo lehnte sich zurück.
»Stellen Sie sich das einmal
vor, Kane«, sagte er ruhig. »Sechzehn Jahre lang lebt ein Mensch nur für einen
Traum. Und dann, eines Tages, öffnen sich die Tore des Gefängnisses, und der
Mann ist frei. Er kann endlich seinen Traum Wirklichkeit werden lassen. Doch in
diesen Jahren hat sich die Welt verändert, und China ist kommunistisch
geworden. Ein Mann wie Dove hat keine Möglichkeit, legal einzureisen, und er
besitzt keinen Pfennig Geld, so daß auch ein illegales Eindringen nicht in
Frage kommt. Drei Monate nach der Entlassung mußte er dann den schwersten Schlag
hinnehmen. Er hat eine unheilbare Krankheit, und die Ärzte geben ihm nicht mal
mehr ein Jahr .«
Ich drückte meine Zigarette im
Aschenbecher aus und wartete auf die Fortsetzung der Geschichte.
»Dove besitzt nur eine
Verwandte. Seine Schwester Natalie. Sie verdient sich ihren Lebensunterhalt als
Sängerin in einem Nachtlokal. Er suchte sie auf. Damals arbeitete sie in einer
Bar in Los Angeles, die einem gewissen Kahn gehört. Eine Zeitlang nahm sie Dove
bei sich auf, denn er konnte nicht mehr arbeiten. Die Krankheit nahm ihren
Verlauf, und jeden Tag kam das Unvermeidliche näher. Schließlich mußte Dove den
Tatsachen ins Auge sehen. Da dachte er an die Menschen, die er gekannt hatte,
und überlegte, ob einer von ihnen ihm helfen könnte. Er entsann sich seines
Freundes aus den frühen Tagen der Gefangenschaft in Japan. Es gelang ihm,
Carter in Chicago ausfindig zu machen. Er besaß dort eine Fabrik. Dove
berichtete ihm alles und erbot sich schließlich, Carter eine Karte zu zeichnen,
wenn Carter ihm versprach, ein Drittel des Geldes seiner Schwester Natalie
zukommen zu lassen .«
»Aha, so hat also Carter die
Karte bekommen«, stellte ich fest.
Corvo nickte.
»Unglücklicherweise kehrte Dove zu seiner Schwester zurück und erzählte ihr
alles. Sie brachte ihn dazu, auch ihr eine Karte zu zeichnen, bevor er starb,
und tat sich dann mit Kahn zusammen. Er streckte das nötige Geld vor, und
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