Unternehmen Vendetta
Palermo.«
Carl hatte mehr als sieben Stunden lang schwer und traumlos geschlafen. Er hatte jedoch nicht das Gefühl, daß Zeit verstrichen war. Es fiel ihm anfänglich schwer, sich zu orientieren, als er aus dem Fenster sah. Er tippte zunächst auf Norwegen, und erst langsam, fast widerwillig überzeugte er sich davon, daß das da unten die Rocky Mountains waren und er somit nur noch ein paar Stunden bis L. A. hatte.
Er hatte zwei breite Erster-Klasse-Sessel für sich gehabt und sich wie ein Kind darin gebettet. Er hatte sich fast in den Schlaf geflüchtet, war vor dem geflüchtet, was plötzlich mit betäubender Kraft zurückgekehrt war.
Joar war tot. Es war absolut real, daß Joar tot war. Und immer dann, wenn Carl vor dieser Wirklichkeit einschlief, würde er wieder unerbittlich in ihr aufwachen.
Er klappte das Tischchen vor sich herunter und bestellte zwei Glas Apfelsinensaft. Dann nahm er Papier und Bleistift, überlegte es sich aber wieder. Er nahm sein Reisenecessaire und ging auf die Toilette, wo er sich rasierte und mit kaltem Wasser wusch.
Dann machte er sich an die Arbeit. Deren strategischtheoretischer Teil lief darauf hinaus, in erster Linie dem Nachrichtendienst der Vereinigten Staaten mit allen nur denkbaren Tricks das notwendige Material zu entlocken, als nächstes Kontakt zu der Regierung der USA und den Nachrichtendiensten Schwedens und Italiens aufzunehmen. Es war ein ansehnlicher Plan, der jedoch einfach aufgebaut war.
Noch einfacher war der taktisch-operative Teil, da es nur darum ging, eine Liste der benötigten Ausrüstung zu erstellen.
Das Wesentliche war Dunkelheit, immer wieder Dunkelheit, und damit auch eine recht selbstverständliche Liste von Laser, Nachtsicht und Nachtzielgeräten sowie einer Kommunikationsausrüstung, bei der sie sicher sein konnten, daß niemand mithörte.
Wenn Dunkelheit der eine gegebene Vorteil war, so war das Meer der andere. Auf den Landstraßen wären sie dem Gegner immer unterlegen, unter Wasser jederzeit überlegen. Der Rest war Mathematik und lief fast nur auf die Frage hinaus, welches Niveau an Feuerkraft sie sich zulegen sollten.
Die Arbeit war in weniger als einer Stunde erledigt. Er versuchte sich vergebens dafür zu interessieren, alles noch einmal durchzusehen, da es ihm dann gelingen würde, seine Gedanken von anderen Dingen fernzuhalten. Es ging jedoch nicht. Dieses Andere drängte sich unwiderstehlich auf.
Nach der Landung mußte er natürlich sofort anrufen, alle beide. Ihnen in etwa erklären, wie die Dinge lagen. Er mußte ihnen zumindest sagen, daß er zum Death Valley unterwegs war und mindestens vierundzwanzig weitere Stunden wegbleiben werde. Daß es ihm einigermaßen gut gehe, daß er Sehnsucht habe und bald wieder zu Hause sein werde. Ungefähr so, etwa die Hälfte Wahrheit und die Hälfte Lüge. Allerdings stimmte es, daß er bald nach Stockholm zurückkehren würde. Er mußte aus mehreren Gründen über Stockholm fliegen, nicht zuletzt, um alle in der Heimatbasis zu beruhigen und ihnen zu erklären, daß das, was bald geschehen würde, nicht geschehen werde.
War es aber wirklich die richtige Situation, um alles aufzuklären? War es der richtige Moment, Eva-Britt zu sagen, daß er eine andere Frau liebte? Konnte er ihr jetzt mit finanziellen und praktischen Vorschlägen kommen, um dann gleich zu Tessie zu stürzen und zu berichten, daß er gebeichtet habe? Um sich dann zu verabschieden und nach Palermo zu fliegen, um vielleicht nie mehr zurückzukehren?
Die Gefahr weiterer Verluste schätzte er auf fünfzig Prozent. Und bei einer Beurteilung der Risiken innerhalb der Gruppe gab es keinerlei Zweifel, wie sie sich verteilten, denn der Plan bestand unter anderem darin, daß er selbst das Feuer des Feindes auf sich ziehen sollte, damit die anderen Angehörigen der Gruppe mehr Spielraum erhielten.
Das schien keine geeignete Situation zu sein, um privates Elend anzurichten. Anderen privaten Maßnahmen konnte er sich jedoch unmöglich entziehen: Er mußte ein Testament verfassen, eine Kulturstiftung gründen und Johanna Louises Zukunft sichern.
Er sah sie vor sich, plötzlich sehr deutlich. Sie war eine weitere Wunde seines schlechten Gewissens. Sie hatte sehr dünnes helles Haar, das auf dem Scheitel fast durchsichtig war und sich im Nacken kräuselte. Sie lachte oft, wenn er ihr die Windeln wechselte, sie wusch, mit Salbe einrieb und in ein neues Paket einwickelte. Mehrere Tage lang hatte sie in seinen Gedanken nicht einmal
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