Unternehmen Vendetta
verlegenen Blick zuwarf und die Hand in die Tasche steckte, um ein Instrument hervorzukramen, das er vor Beata verbarg, als er ihr den Rücken zudrehte und das Türschloß in Angriff nahm.
Er brauchte fünf Sekunden, um die Tür aufzumachen. Etwa so lange, als hätte er einen Schlüssel gehabt, dachte die verblüffte Beata.
Frau Elizabeth Lundwall wohnte ganz oben im fünften Stock. Carl und Beata nahmen den Fahrstuhl, schlossen die Fahrstuhltüren vorsichtig, als wollten sie ihre Ankunft bis zur letzten Sekunde geheimhalten. Sie stellten sich vor die Tür, sahen sich ein letztes Mal besorgt an und holten gleichzeitig tief Luft, nachdem Carl den Arm ausgestreckt und geläutet hatte. Ein Gong irgendwo in der Wohnung ließ das Geläut von Big Ben ertönen. Sie warteten eine Weile, doch es war nichts zu hören. Carl drückte erneut auf den Klingelknopf, und im selben Moment fragte eine helle, ängstliche Frauenstimme, wer da sei.
»Fregattenkapitän Carl Hamilton vom Generalstab«, erwiderte Carl unnötig laut und mit einer Stimme, die ihm nach dem halben Satz versagte.
Auf der anderen Seite der Tür wurde es zunächst vollkommen still. Carl fiel plötzlich etwas ein, und er nahm die Uniformmütze ab. Er klemmte sie sich unter den Arm und stellte sich vor das Guckloch der Tür, um richtig gesehen zu werden. Es hatte fast den Anschein, als fände er vor den Augen der Frau auf der anderen Seite keine Gnade, denn nichts geschah. Die Frau sagte auch nichts mehr. Doch nach längerer Wartezeit, in der Carl und Beata sich mehrmals unruhig angesehen hatten, rasselte es im Schloß, und die Tür wurde sacht aufgeschoben.
Frau Elizabeth Lundwall saß in einem Rollstuhl. Sie war sehr blaß und riß wie vor Schreck fast die Augen auf, als sie Carl sah. Sie schlug die Hände vors Gesicht und atmete heftig, als litte sie an Atemnot oder als hätte man ihr die Luftzufuhr abgeschnitten.
»Wir müssen Sie leider stören, Frau Lundwall… Können wir vielleicht reinkommen?« fragte Carl leise. Das Entsetzen in den Augen der Frau beim Anblick seiner Uniform und seines Gesichtsausdrucks zeigte, daß sie schon verstanden hatte, worum es ging.
Sie drehte den Rollstuhl herum und fuhr langsam in die Wohnung. Carl und Beata stahlen sich schnell durch die Tür und zogen diese vorsichtig zu, bevor sie der anscheinend flüchtenden Frau im Rollstuhl folgten.
Frau Lundwall fuhr in ein großes Wohnzimmer, das von einem riesigen Kristalleuchter beherrscht wurde sowie von einem persischen Teppich, der fast den gesamten Parkettfußboden bedeckte. Irgendwann in der Geschichte der Familie muß es ein großes Haus gegeben haben, stellte Carl fest.
Auf dem Weg ins Zimmer hatte die Frau den Kristalleuchter irgendwie eingeschaltet, war darunter stehengeblieben und mit dem Rollstuhl herumgewirbelt, so daß sie ihren beiden Besuchern jetzt das Gesicht zuwandte. Sie war leichenblaß geworden vor Schreck, denn sie hatte offenbar schon verstanden. Carl und Beata waren in der Tür zu dem großen Wohnzimmer stehengeblieben, so daß sie jetzt gut fünf Meter von der Frau im Rollstuhl entfernt waren.
Ein paar Sekunden lang, die wie eine Ewigkeit wirkten, sagte niemand etwas. Doch dann nickte die Frau im Rollstuhl auffordernd, als wäre sie bereit, und Carl holte tief Luft.
»Als direkter Vorgesetzter Hauptmann Joar Lundwalls habe ich die traurige Pflicht, Ihnen mitzuteilen, Frau Lundwall…«
Carl mußte Luft holen und sich sammeln, bevor er fortfuhr.
»… daß Joar heute morgen bei einem militärischen Auftrag auf Sizilien getötet worden ist. Er und ich sind auf einer Dienstreise dort gewesen. Joar hat versucht, mir das Leben zu retten, und soviel ich weiß, hat er das auch getan. Hauptmann Joar Lundwall war einer der großartigsten Offiziere Schwedens.«
Carl brachte es nicht über sich, weiterzusprechen. Er hatte das Gefühl, als wäre sein Schädel blitzschnell entleert worden, als hätte man Wasser aus einem Eimer gegossen.
Die Frau im Rollstuhl starrte ihn mit weit aufgerissenen Augen an. Ihr Gesicht war starr und ausdruckslos, und sie sagte nichts. Statt dessen rollte sie langsam auf Carl zu, streckte die Hand aus und berührte den Ärmel seiner Uniform. Dann wirbelte sie in ihrem Rollstuhl herum, entfernte sich etwa einen Meter und schlug die Hände vors Gesicht. Erst dann kamen die Tränen. Sie weinte erst mit einem leisen Ächzen und Schluchzen, dann, als versuchte sie die Tränen zu unterdrücken, bis diese sich heftig und unwiderstehlich
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