Unternehmen Wahnsinn
eines Verlierers. Sich selbst als »überfordert« zu bezeichnen, käme einer Selbstvernichtung gleich. Ein weiteres Vokabeltabu sind die »Grenzen«. Es existieren im Organisationskontext eigentlich nur mehr Wortkombinationen wie »grenzenlos« und »Grenzen hinter sich lassen«. Grenzen scheinen ausschließlich dazu da zu sein, um überwunden zu werden. Dasselbe gilt für »Krankheit«. Bevor jemand krank wird, ist jeder Gedanke daran tabu. Ist jemand krank geworden, verlässt er ja für eine Weile die Firma – und kann in der Zeit auch leicht ausgeblendet werden. Kommt er zurück, dann ist alles erfreulich und die Krankheit vorbei. Keine Erinnerung – keine Rück-Sicht – mehr an das Übel. Stattdessen erzählen heldenhafte Rückkehrer, dass so eine Auszeit ganz guttut, die wahren Werte und so weiter kämen einem wieder ins Bewusstsein, man kommt zum Lesen, zum Ausschlafen und überhaupt: zustimmendes Nicken, ein Schulterklopfen mit den besten Wünschen, und weiter geht’s im Takt. Niemals in der Folgezeit wird der Betroffene etwas Ähnliches äußern wie: »Ich bin nicht mehr so belastbar.« Das könnte die Stimmung und die Karriere verderben.
Andere vom Aussterben bedrohte Wortverbindungen lauten: »Das weiß ich nicht«, »Das kann ich nicht«, »Darüber müsste ich erst einmal nachdenken«.
Gutwörter helfen lügen
Zurück auf die sprachliche Sonnenseite. Bei allem Kriegsgeheul erklingen nämlich auch geradezu wundervolle Töne. Und zwar, wenn neue Krieger geworben werden. Eine übliche Unternehmensannonce schafft es, in vier Zeilen folgende Freudewörter zu verstauen: »unvergleichliches Zuhause« – »im Team« – »innovativ« – »entwickeln« – »engagiert« – »mit uns gemeinsam« – »Lösungen« – »über gewohnte Grenzen hinaus« – »ständig neue Perspektiven« – »spannend« – »sei bereit«! Solche Annoncen als Floskelfeuerwerke finden sich massenhaft. Die Positivphrasen springen nur so aus den Zeilen: großartig, stark, sozialkompetent, teamfähig, eigeninitiativ, dynamisch, neugierig, ideenreich. Und »erfrischende Querdenker« sind natürlich immer besonders willkommen.
Aber nicht nur die potenziellen Neumitarbeiter werden von den Unternehmen umschmeichelt, die Kommunikationsabteilungen legen sich auch mächtig ins Zeug für die Unternehmensmitarbeiter, die bereits an Bord sind. In den sorgfältig designten Ansprachen der Vorstände war noch nie zuvor so viel von »Vertrauen« die
Rede und von Werten, von Verantwortung, Perspektiven, Nachhaltigkeit, Zukunft, Talent, Chancen, Vielfalt, Freude, Teamarbeit,
Wertschätzung, Entwicklung, Gemeinschaft, Zusammenhalt und Liebe – oder mindestens: Leidenschaft. Ganz wichtig ist die Parole: »Jeder zählt« oder »Wir brauchen dich!«. Ähnlich wie das Green-Washing nicht nur die Autobranche, sondern viele Bereiche der Gesellschaft mit ökologisch-korrekter Tönung überzieht, so findet sich in den Unternehmensäußerungen verstärktes Trust-Washing.
Die Verwendung dieser Vokabeln verhält sich umgekehrt proportional zum Zustand, in dem die Belegschaft in der Regel ist. Es handelt sich um Beschwörungen, die etwas herstellen sollen, was nicht mehr gegeben ist. Ihre häufige Verwendung signalisiert Verzweiflung bzw. rapiden Verfall. Fürs Studium historischer Textquellen lautet nämlich eine zentrale Lektion: Wenn zum Beispiel geschrieben steht »Die Frauen sollen ihr Haar bedecken«, dann ist genau das ein starkes Indiz dafür, dass sie ebendieses in jener Zeit nicht mehr taten. Täten sie es, wie seit alters her, dann bräuchte das nicht eigens thematisiert zu werden. Auch eine aktuelle Studie, die sich mit dem Zusammenhang von Linguistik und Lüge beschäftigt, kommt zur Erkenntnis: Formulierungen wie »jeder von uns weiß« deuten darauf hin, dass das Folgende zumindest zweifelhaft ist. Und wenn Manager unwahre Angaben über die Situation ihres Unternehmens machen, benutzen sie gehäuft emotional aufgeladene Vokabeln. Wenige Monate vor dem Zusammenbruch von Lehman Brothers gebrauchte der damalige Finanzvorstand in einer Rede beachtliche 14 Mal das Wörtchen »großartig«, 24 Mal »stark« und acht Mal »unglaublich« 9 .
Nur eine Differenz erzeugt Wahrnehmung und Interesse. Kein Mensch sagt oder schreibt vier Mal wöchentlich: Luft ist durchsichtig. Erst bei Smog-Alarm wird diese Tatsache beredenswert. So verhält es sich mit allem, was plötzlich im allgemeinen Sprachgebrauch populär wird. Es weist auf eine Differenz hin.
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