Unternehmen Wahnsinn
Historiker werden die inflationär auftauchenden Gutwörter der zeitgenössischen Unternehmenssprache mühelos mit der ebenso verbreiteten aktuellen Kriegsrhetorik in Zusammenhang bringen.
9 Studie von David F. Larcker und Anastasia A. Zakolyukina von der Standford University: Detecting Deceptive Discussions in Conference Calls . July 29, 2010. Quelle: https://gsbapps.stanford.edu/researchpapers/library/RP2060%20&%2083.pdf
Symptom 7: Die Untoten werden mehr
Es treten auf: die fachlich Deprofessionalisierten, die zum ewigen Weitermachen Verdammten; die Unglückseligen, die in schwarzen Organisationslöchern verschwinden
Sie treiben sich auf Projekt-Friedhöfen herum, wühlen, kriechen und winseln nach ein paar Liebkosungen, werden ignoriert, geduldet oder getreten, würden gerne sterben und dürfen es nicht. Was sind das für seltsame Organisationsmitglieder? Woher kommen sie?
Angefangen hat alles in etwas glanzvolleren Zeiten, zum Beispiel mit einer Schmeichelei: »Es ist das zentrale Projekt der nächsten Jahre. Sie sind der Beste, der das machen kann. Und Sie erhalten jede Unterstützung, die Sie brauchen. Der Vorstand steht voll hinter dem Anliegen.« Solch ein Projekt wird gern mit den harmlos klingenden Worten »wir müssen da unbedingt was machen …« initiiert und mit dem Adelsprädikat »strategisch« etikettiert – weil die Bedeutung grenzenlos (also ein wenig verschwommen) ist und unterstrichen werden soll. Nicht selten handelt es sich um die direkte Folge eines internen oder öffentlichen Hypes um fundamentale Themen wie »Qualität«, »Diversity«, »Innovation«, »Umweltschutz«, »Demografie«, »Internationalisierung«, »Compliance«, »Identität« oder die gesellschaftliche Verantwortung des Unternehmens. Auch Wertediskussionen können Auslöser solcher Projektideen sein. Oder die letzte Mitarbeiterbefragung, die eine »verheerende Vertrauensbilanz« festgestellt hat.
Alle Arten von Schnittstellenoptimierungen oder Prozesssynchronisierungen – wenn sie über eine Abteilung hinausgehen – haben ebenfalls das Zeug dazu, sich in Projekt-Monumentalgräber zu verwandeln, desgleichen jene Versuche, die bereichsübergreifende Zusammenarbeit oder das Verhältnis zwischen Regionen und Headquarter »ein für alle Mal auf ein neues Niveau zu heben«.
Kurz: Es sind ambitionierte Themen, sie machen »Sinn« und auf alle, die guten Willens sind, einen ausgesprochen plausiblen Eindruck. Nur ein paar Altvordere, die sich nicht so sehr um die angesagte Meinung kümmern, trauen sich, laut »Quatsch« zu sagen. Die überwiegende Mehrheit hält sie für enorm wichtig – wenn auch jeder naturgemäß einen anderen Weg zur Lösung der thematisierten Probleme einschlagen würde. Diese Schwierigkeit spürt sofort jeder, der zum Leiter eines solchen Projekts erkoren wird. Aber als ambitionierter Mensch und engagierter Mitarbeiter lässt man sich davon nicht abhalten. Der Ehrgeiz ist angefacht, man stürzt sich und seine Leute in die Arbeit. Der erste Schritt ins Reich der Untoten.
Merkmale eines Un-Projekts
Nach ebenso intensiven wie ergebnislosen Bemühungen bemerkt der Projektleiter endlich: Das Projektziel war (zumindest von Seiten der Auftraggeber) bereits in dem Moment erreicht, in dem er dazu »Ja« gesagt hat – es war verräumt. Das Signal war gesetzt, man hatte jemanden für zuständig erklärt, jetzt konnte zur Tagesordnung zurückgekehrt werden. Das Un-Projekt war und ist nicht gewollt, aber offiziell muss etwas getan werden.
Wer jetzt als Projektleiter allerdings auf die Idee kommt, wieder einpacken zu können oder zumindest nicht allzu viel in das Projekt investieren zu müssen, weil ja nicht viel getan werden kann, der täuscht sich. Vielmehr beginnt jetzt ein irres, zähes Treiben in der Organisation: Überraschenderweise fühlen sich fast alle angeregt, reden anfänglich mit, wissen es besser, zeigen auf die anderen und halten den Projektleiter auf Trab. Der hat – wie selbstverständlich – kein Budget, keinen Zugriff auf Ressourcen und schon gar keine Entscheidungsbefugnisse. Dafür bekommt er von allen Seiten Druck: Auf der obersten Ebene, im Lenkungsausschuss, muss er wöchentlich von den – leider kaum wahrnehmbaren – Projektfortschritten berichten. In der eigenen Abteilung und beim eigenen Chef lässt man ihn sanft auflaufen, man hat schließlich Wichtigeres zu tun. Die Nachbarressorts – diese Sorte von Projekten ist immer bereichsübergreifend angelegt – verwahren sich gegen
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