Unternehmen Wahnsinn
jede Einmischung. Manche sind dem Anliegen gegenüber durchaus aufgeschlossen und würden auch wirklich etwas dazu beitragen, allerdings erst, wenn von höchster Ebene eine entsprechend strategische Entscheidung gefallen ist. Das kann dauern.
Die Projektmitarbeiter bemerken mittlerweile auch, dass die Sache nicht den erhofften Ruhm bringt, und verlieren die Lust. Einige betreiben offen den Wechsel in ein anderes Projekt, andere klagen über den schlechten Führungsstil des Projektleiters und fordern mehr Orientierung. Die besonders Klugen stellen ihre Arbeit ein und entwickeln alternative Vorgehensvorschläge, mit denen sie den Projektleiter behelligen, »weil das so doch alles nichts bringt«.
Die fachliche Deprofessionalisierung beginnt
Der Projektleiter selber weiß das inzwischen auch. Nach vielen schlaflosen Nächten, unzähligen Gesprächen, Kraftanstrengungen, kontrollierten Wutausbrüchen, sanften Überredungsversuchen, Vorwürfen gegen andere und sich selbst, nach aktivistischen wie apathischen Phasen (letztere fallen gar nicht auf) verabschiedet er sich ganz langsam, aber unaufhaltsam von seinen anfänglich inhaltlich motivierten Ambitionen und verlagert sich mehr und mehr auf inhaltsfreie, diplomatische Spreiz- und Dehnungsübungen. Er ist angekommen im Paradoxie-Management: Komplette inhaltliche Unterforderung verbunden mit gefährlicher politischer Überfrachtung. Das, was er gut kann, ist nicht gefragt. Das, was gefragt ist, darin ist er nicht gut.
Wenn es wenigstens jemand einmal aussprechen würde – die Chefin oder der Chef zum Beispiel –, dass des Projektleiters Aufgabe vor allem darin besteht, sein Gesicht für dieses Thema hinzuhalten, so zu tun, als ob rasend viel passierte, und alle so lange zu beruhigen, bis sich irgendwann der Wind doch noch dreht oder das ganze Projekt sanft beerdigt werden kann. Dass es also nicht darum geht, ein Problem zu lösen, sondern sich dieses vom Leib zu halten, ohne dass es einem auf die Füße fällt. Das wäre intellektuell durchaus nachvollziehbar, so könnte man sich vielleicht auch gut darauf einrichten und würde gewiss auch keine schlechte Figur abgeben, auch wenn es nicht der eigenen Kernkompetenz entspricht. Aber in der Regel verteidigt der Chef die Illusion vehement. In seiner Empörung (»Wie kommen Sie darauf!«) rutscht ihm schon mal die eine oder andere Bemerkung raus, dass man das Ganze etwas tougher und mit mehr Begeisterung angehen sollte, statt sich immer nur zu beschweren und die Leute vor den Kopf zu stoßen. Das gefalle ihm gar nicht. Es sei eben ein sehr sensibles Thema, und da brauche man langen Atem und Fingerspitzengefühl. Schließlich habe er große Hoffnungen in das Projekt und seinen Leiter gesetzt, und er erwarte schon, dass man sich etwas einfallen lasse und kreativ werde. Dass es nicht einfach ist, sei ja kein Grund, sich hängen zu lassen. Solchermaßen wieder aufgebaut, verlässt der Projektleiter das Chef-Büro. Das mit den Fingerspitzen geht ihm, dem Gemaßregelten, noch nach – es kribbelt darin.
Verdammt!
Er ist verdammt dazu weiterzumachen und lädt weiterhin zu jener Sorte von illustren Meetings, bei denen die entscheidenden Personen kurz vor Beginn absagen; bei denen andere nur kommen, um zu verhindern, dass etwas geschieht oder um die aktuelle politische Großwetterlage bei diesem Thema auszukundschaften; oder weil sie als Vertretung geschickt wurden, keine blasse Ahnung von der Materie haben und deswegen noch einmal grundsätzlich diskutieren wollen. Oder es sind feindliche Abgeordnete, die ausspähen wollen, ob ihre Chefs doch noch etwas zu befürchten haben. Oder Gutwillige, die zwar keinen Beitrag liefern können, aber dafür umso deutlicher für Offenheit und gegenseitiges Verständnis werben und überhaupt und irgendwie das ganze Thema hochspannend finden. Dann wären da noch: der Praktikant, der das Protokoll schreiben wird, und die neue Projektmitarbeiterin an ihrem ersten Arbeitstag.
Nach erschöpfendem Drei-Stunden-im-Kreis-Herumdiskutieren wird der Meetingraum anderweitig gebraucht, der Praktikant fotografiert schnell die Flip-Charts ab. Einige gehen noch zusammen zum Kaffeeautomaten, suchen sich ein Thema, über das Lästerkonsens besteht, und versuchen nebenbei noch das ein oder andere in Erfahrung zu bringen. Der Rest der Woche besteht aus dem üblichen Kleinklein: Absagen, Vertröstungen, Appelle, nun müsse aber mal was vorangehen, und nicht zu vergessen: die neue Präsentation für den
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