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Unternehmen Wahnsinn

Unternehmen Wahnsinn

Titel: Unternehmen Wahnsinn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theresia Volk
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interne oder externe Windböe das eigene mitunter jahrzehntelange, erfolgreiche Wirken über Nacht hinwegfegen kann – das bringt selbst hartgesottene Selbstoptimisten ins Grübeln.
    In diesem Moment schwankt der Boden und das verinnerlichte »Ich-schaffe-alles«-Mantra verbindet sich mit einer großen Angst. Dadurch wird das Mantra aber nicht etwa relativiert, sondern seltsamerweise radikalisiert. Die Mischung aus antrainiertem Wunschdenken und Angst führt dazu, dass die Optimierungsbestrebung zur schieren und reinen Not-Wendigkeit erhoben wird, nicht nur für einen besonders ambitionierten Kreis, sondern zu einer Pflicht für jede und jeden. Der spezifische Mix aus Ohnmacht und Größenwahn nötigt zum Handeln. Denn ein ausbleibender Erfolg
– ein verpasster Aufstieg, eine verlorene Position – führt gnadenlos zur doppelten Strafe: Man hat nicht nur sein Ziel verfehlt, sondern muss sich auch noch vorwerfen (lassen), nicht genügend daran geglaubt zu haben! Man hat einfach nicht genug dafür getan. Hier gilt übrigens wie bereits früher angemerkt: Ausschließlich das Ergebnis spricht das Urteil über den Wert der vorangegangenen Bemühungen. Bleibt »der Erfolg« aus, waren die Bemühungen ungenügend. Und es ist auch klar, wer schuld daran ist. Man selbst.
    Es ist beeindruckend, wie viele Menschen in Unternehmen bereitwillig enorm große Anstrengungen für ihre individuell-internen Anpassungsprozesse auf sich nehmen. Vermutlich weil sich diese Bemühungen allemal besser kontrollieren lassen als alles andere in der berühmt-berüchtigten Komplexität der Wirtschafts- und Arbeitswelt. Es ist die persönliche Anstrengung und Anpassung an Bedingungen, die ihrerseits ganz und gar überindividuelle Ursachen haben. Ungeachtet dessen, ob kollektive Zu- oder Missstände individuell gelöst werden können, wird genau dies von Wirtschaft und Gesellschaft (und von uns selber) verlangt: Jeder Einzelne muss seine Lösungen finden und sie aus eigener Kraft umsetzen.
    Die Überanstrengten
    Der Einzelne überanstrengt sich vollkommen. »Das erschöpfte Selbst. Depression und Gesellschaft in der Gegenwart«, so heißt die Untersuchung des Soziologen Alain Ehrenberg 19 , die bereits kurz vor der Jahrtausendwende weit über den akademischen Zirkel hinaus in Frankreich für Aufsehen sorgte. Ehrenberg rekonstruiert die Medizin- und Sozialgeschichte seit den 30er-Jahren des letzten Jahrhunderts und zeigt detailliert, wie die Depression im letzten Jahrhundert zur Massenerkrankung der westlichen Gesellschaften geworden ist. Sie ist das neue Leiden der Gegenwart und löst die Neurose ab.
    Im Zeitalter von Freud war es noch der Kampf gegen die disziplinierende Verhaltenssteuerung autoritärer Institutionen, der den Menschen zusetzte und in neurotische Erkrankungen trieb. Sie waren die spürbaren Folgen einer Gesellschaft, die ihre Mitglieder zu reglementieren versuchte und diejenigen schuldig sprach, die nach Freiheit strebten.
    Diese Freiheit ist nun erreicht. Die Autoritäten sind kraftlos geworden, die Individualisierung mit ihrer Loslösung des Subjekts von überkommenen Bindungen und Traditionen ist weit vorangeschritten. Und wer würde sich nicht freuen über diese Entwicklung zu Mündigkeit und persönlicher Souveränität. Unsere gegenwärtigen Gesellschaften haben ihre Individuen in die Freiheit entlassen – aber sie haben ihnen und sich auch das Diktat von Verantwortung und Initiative aufgebürdet. Der moderne Mensch sieht sich jetzt plötzlich verpflichtet, etwas aus seinem befreiten ICH zu machen. Es sind nicht mehr äußere Antriebe, die ihn zu etwas bringen oder zwingen, sondern der Motor muss in seinem Innern schnurren: Initiative, Motivation, Leidenschaft, Eigenverantwortung sind die notwendigen Innenvoraussetzungen für den äußeren Selbstwerdungserfolg.
    Ehrenberg schildert, wie die neuen »Ideale ökonomischer Konkurrenz und des sportlichen Wettkampfes das Individuum auf den Weg zu seiner eigenen Identität und sozialem Erfolg gedrängt haben«. Es wird von ihm die nach oben hin offene ICH-Werdung erwartet, nämlich lebenslang »in einem unternehmerischen Abenteuer über sich selbst hinauszuwachsen. 20 « Der zu bezahlende Preis ist die Angst, dabei nicht erfolgreich zu sein – und die Erschöpfung beim Versuch, man selbst zu werden. Die Depression mit ihren ganzen Abstufungen ist die Folgekrankheit. Sie ist gekennzeichnet von einem Gefühl der Minderwertigkeit und Unzulänglichkeit. Kein Wunder: Auf der nach oben

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