Unternehmen Wahnsinn
ich. Im Profi-Sport ist die Konkurrenz zwischen den Vereinsmitgliedern konstitutiv und auch bei Mannschaftssportarten treibt sie das Spiel an. Sie gehört notwendig dazu, um die Leistungsgrenzen nach oben hin zu verschieben. Der Begriff »Coaching« stammt nicht von ungefähr aus dem Sport und will den Einzelnen genau dabei unterstützen. Wer den Beruf des Profisportlers wählt, der liebt diesen permanenten Wettbewerb, nicht nur im Wettkampf oder auf dem Spielfeld mit der gegnerischen Mannschaft, sondern auch innerhalb seines eigenen Vereins. Er kann diese interne Konkurrenzsituation in Kraft und Leistung umsetzen und gewinnt Energie daraus, den Clubkollegen im Training zu überrunden.
Bei Millionen von Angestellten in den Unternehmen weltweit hat dieser wachsende interne Wettbewerb inzwischen zu bedenklichen Nebenwirkungen geführt. Die Haltung heißt »unterm Strich zähl ich – und ich zähle auch nur noch auf mich und auf keinen andern mehr«. Das hat Folgen und verursacht Kosten. Denn im Unterschied zum Spezialbereich Profisport war und ist innerhalb von Arbeitsteams in Unternehmen neben dem Wettbewerb auch der Faktor Zugehörigkeit bzw. Schutz ein wichtiger Motor. Das Team als ein Ort der emotionalen Bewältigung von Veränderung und Belastung verliert mehr und mehr seine Bedeutung. Größere Diversität erhöht den Auseinandersetzungsbedarf, Personalfluktuationen verhindern aber kontinuierliches Zusammenarbeiten. Man investiert emotional lieber nicht zu viel in sich schnell verändernde Bezugsgruppen.
Die Ressourcen, die durch kollegiale Zuwendung, Trost, Verbundenheit etc. sowohl gepflegt wie auch freigesetzt wurden, stehen nicht mehr zur Verfügung. Das omnipräsente Kosten-Nutzen-Kalkül innerhalb der Arbeitsbeziehungen hat ein generelles Misstrauen zur Folge. Was will der andere mit seinem Lob wirklich erreichen? Und was bekomme ich selber, wenn ich für den anderen einspringe, ihm helfe? Lohnt sich das?
Das ganze Konkurrieren dreht sich in Richtung Nullsummenspiel: Was dem andern nützt, bringt mir erstmal Nachteile. Gegenseitige Unterstützung hat ihren Preis, also baue ich lieber auf einen externen Coach, den ich – na gut – auch selber bezahle. Damit ist eher gewährleistet, dass ich gestärkt und nicht funktionalisiert werde, als wenn ich mich meinem Chef oder meinen Kollegen anvertraue.
So wird die Mutmachformel »Es liegt allein an dir« hintergründig gespeist von einer entmutigenden Erfahrung: Mach dir nichts vor. Letztlich bist du allein. Erwarte nichts. Von niemandem.
Anything goes. Wrong
Ein zweites Erklärungsmodell für den Selbstoptimierungswahn ist die »Anything-goes-Hybris«. Im Slogan »Alles ist machbar!« spiegeln sich die kollektiven, auch unternehmerischen Größenphantasien auf individueller Ebene wider. Nach oben gibt es keine Grenzen für die, die sich selbst als Leistungselite begreifen. Das wäre nicht weiter erwähnenswert, denn seit jeher loten die Ambitionierten und Risikobereitesten jedweder Profession aus, welche Grenzen sie noch überwinden können. Was heute auffällt, ist, dass sich dieser Personenkreis stark erweitert hat, möglicherweise nicht ganz freiwillig. Wer heute nicht um jeden Preis besser werden und aus allem und jedem lernen will, kommt schnell in Erklärungsnot. Eine dezente lernkritische Bemerkung ist das k.o. in jedem Bewerbungs- oder Mitarbeiterjahresgespräch. Auch die Kollegen sollte man wissen lassen, dass man an die eigene Kraft glaubt und jede Herausforderung begrüßt. Wenn man ernst genommen werden will.
Dazu gesellt sich ein ganz anderes Phänomen: Im krassen Widerspruch zu den »Alles-ist-möglich«-Behauptungen erleben Unternehmensmitarbeiter jeder Ebene einen nie gekannten Kontrollverlust am Arbeitsplatz. Die hochrangige, exzellent ausgebildete und mehrsprachige Managerin ebenso wie der Hilfsarbeiter, das Vorstandsmitglied ebenso wie dessen Assistentin – sie alle müssen derzeit erfahren, dass sie es definitiv nicht mehr in der Hand haben, wie lange sie noch in ihrer Funktion oder in ihrer Firma bleiben. Das hängt von zu vielen Faktoren ab, die wesentlichen lassen sich individuell nicht beeinflussen. Die eigene Leistungsfähigkeit, Lernbereitschaft und Loyalität sind also gut und schön, den eigenen Arbeitskontext entscheidend beeinflussen kann man damit nicht. Eine bittere Lektion. Zum ersten Mal zu erleben, dass eine neue Personalkonstellation im Vorstand oder eine leicht veränderte Markenstrategie oder irgendeine andere
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