Unternehmen Wahnsinn
Politikwissenschaftlerin an der J. F. Kennedy School of Government in Harvard, beschäftigt sich nicht nur mit dem Thema »Führen«, sondern auch mit dem Machtgefüge zwischen Leader und Gefolge. Sie differenziert sogar die Followers – üblicherweise macht man das ja nur mit »Führungsfiguren« – und unterscheidet folgende Typen: 1. Isolates /Einzelgänger: Sie stehen abseits, bekommen weder mit, was geht, noch wollen sie es überhaupt. 2. Bystander /Beobachter: Sie zeigen keine Beteiligung, halten sich Optionen offen, arrangieren sich ggf. mit jedem, sitzen ihren Dienst ab. 3. Participants /Teilnehmende: Sie machen mit, engagieren sich mal für, mal gegen den Chef. 4. Activists /Engagierte: Sie investieren einen großen Teil ihres Lebens und Arbeitens in eine Aufgabe oder einen Zweck. 5. Diehards /unverbesserliche Idealisten: Sie sind bereit für ihre Überzeugung, ggf. auch für ihren Anführer zu sterben.
Kellerman ist noch ziemlich allein in ihrer Beschäftigung mit der Kehrseite des Führens. Obwohl zwei große gesellschaftliche Entwicklungen allseits bekannt und durchanalysiert sind, die den Fokus eigentlich deutlicher auf die Follower lenken müssten: Erstens haben die 1960er- und 1970er-Jahre die politischen und sonstigen Autoritäten in den westlichen Gesellschaften vom Sockel gestoßen. Der »mündige Bürger« sollte eigentlich die Herrschaft übernommen haben. Und auch wenn sich viele antiautoritäre Ressentiments überlebt haben mögen – die Mündigkeit als Tugend wird nach wie vor hoch geschätzt. Das müsste die Sehnsucht nach Führung eigentlich begrenzen. Auch der zweite große Prozess – er ist neueren Datums und noch lange nicht am Höhepunkt angelangt – weist in Richtung Mündigkeit und Selbstständigkeit: Durch die neuen technischen Evolutionen, zum Beispiel die Echtzeit-Kommunikation, entstehen und wachsen ungeheure Möglichkeiten zur Verständigung und Vernetzung. Zu- und Abstimmungsbewegungen lassen sich erstmals im großen Stil managen. Das gemeine Volk bzw. der mündige Bürger bzw. der engagierte Arbeitnehmer kann sich in Sekundenschnelle organisieren. Und immer mehr tun es ja auch, im Mikroblogging-Netzwerk »Twitter« tragen sie sogar diesen Namen: Follower.
Warum hört sich »Gefolgschaft« trotzdem noch nicht attraktiv an? Vielleicht weil kein modernes, sich erwachsen fühlendes Individuum westlicher Prägung einfach so jemandem hinterherläuft? Vielleicht muss man Gefolgschaft zunächst einmal anders nennen.
Kontakt: ja, Zugehörigkeit: nein
Hinter Gefolgschaft steckt ursprünglich etwas anderes: eine Zugehörigkeit. So lautet eine archaische Definition von Führung: Es führt der, der in einer bestimmten Lage mit seinem Können und seiner Initiative der Gruppe bei ihrem (existenziellen) Vorhaben oder Tun am meisten helfen kann. Es ist also eine bestimmte Zugehörigkeit, eine Interessengemeinschaft, aus der heraus sich Führung(sverhalten) entwickelt – und Sinn macht. Offenkundig wird das, wenn man eine Bande Halbstarker, eine Fußballmannschaft oder auch eine Reisegruppe betrachtet. Dies sind Gruppen, in denen jeder Einzelne situativ der Person folgt, die ihm am meisten hilft, »Erfolg« zu haben. Ähnliche Gruppen gibt es im Business. Hier heißen die möglichen Interessengemeinschaften Analysten, Konsumenten, Projektmitarbeiter, Sozialverbände, Clubs, Azubis, Praktikanten, Kundengruppen, Lohngruppen, Aktieninhaber, Taskforces.
Bei ihrer genaueren Betrachtung fällt zweierlei auf: 1. Eine Person hat traditionell viele dieser Zugehörigkeiten. Sie treten miteinander sogar in Konkurrenz. 2. Der Prozess, dass die Verweildauer bei und die Unterstützung von bestimmten Gruppen und Themen seit Jahrzehnten abnimmt, ist wohl unumkehrbar. Die Entwicklung führt weg von Langfristbindungen, wie es sie einmal gab, weg von Glaubensbekenntnis, Parteibuch, Ehe oder Lebenslangvertrag in einer Firma. Es folgten Kurzfrist- oder Garnichtmehrbindungen: Lebensabschnittskonstellationen, Projektmitarbeit, Multiprojektmanagement, Zapping. Man knüpft viele neue Kontakte und vernetzt sich munter, aber daraus werden meist keine Zugehörigkeiten. Immer mehr dieser ehemals festen, echten Bindungen lösen sich auf, bilden sich situativ neu bzw. lassen sich immer schwieriger herstellen.
Was heißt das für den Ruf nach guter Führung? Er verhallt. Muss verhallen. Denn Führung kann die Bindekräfte, die eine Interessengemeinschaft auszeichnet, nicht herstellen, sondern ist
– umgekehrt –
Weitere Kostenlose Bücher