Unternehmen Wahnsinn
nicht mehr so einfach hergestellt werden kann. Belastbare Beziehungen entstehen eben nicht durch Verlinkung, nicht in den nützlichen, aber auch schwachen Bindungen der sozialen Netzwerke, sie gedeihen nicht in permanent wechselnden Projektkonstellationen, sondern nur durch gemeinsames Erleben, durch Teilen von Risiko und Engagement, durch gegenseitiges Kennen und Einstehen. Hier kommt nun der Liturgie-Boom ins Spiel, die quasireligiöse Bindung als Ersatz für echtes Vertrauen, für echte Beziehungen. Der Gefühlsschmelz einer Gänsehaut-Pseudoliturgie oder die beruhigende Annahme, dass sich Millionen (von Usern) und die versammelte Konzernelite nicht irren werden, dass ich einer von ihnen und in dieser Masse auch geborgen und geschützt bin, führt zu vertrauensseligen Gefühlen der Zugehörigkeit und des blinden Vertrauens. Soll jedenfalls dazu führen. Für derlei wärmendes Feuer braucht es die beschriebenen mythischen und rituellen Zutaten. Das wird auch ganz offensiv gepredigt. Wer nur fest genug an das Heilige glaubt, dem wird es auch erscheinen. In der Tat: Glaube kann Berge versetzen. Aber ist dies ein tragendes, zukunftsfähiges Businessmodell?
Misstraut den Shareholder Schamanen!
Für »confidence« dagegen, das strukturelle Zutrauen ins Funktionieren von Systemen, Verträgen, Prozessen, eben das Vertrauen, das Luhmann meinte, dafür braucht es Ratio: Transparenz, checks and balances und Regeln, die jemand einfordert und die prinzipiell kontrolliert werden können. Die Historikerin Ute Frevert spricht davon, dass dieses Vertrauen eine notwendige und spezifisch moderne Erfindung unserer arbeitsteiligen Wirtschaft ist. 33 Die Verlässlichkeit eines Finanz- oder Rechtssystems ist essentiell wichtig dafür, dass wir Handel treiben können. Aber ein solches Systemvertrauen ist nicht zu verwechseln mit dem freundschaftlichen Vertrauen innerhalb einer gewachsenen Bindung. Mit einem Versicherungsvertreter oder Autoverkäufer verbindet uns erstmal gar nichts. Kein Glaube, keine Liebe, keine geteilte Hoffnung. Nur ein gegenseitiges Geschäft, abgeschlossen aufgrund rationaler Erwägungen zum gegenseitigen Vorteil.
Trotzdem wird nicht um unser strukturelles, sondern um unser persönliches Vertrauen gebuhlt, um »trust«. Das müsste misstrauisch machen – und macht es ja auch. Je weniger uns erklärt werden kann, warum wir uns für dieses Produkt oder diesen Weg entscheiden sollen, desto mehr braucht es anscheinend stimmungsvolle Rituale und Segenssprüche, die uns Heil und Gewissheit suggerieren.
Furchtbar sind die Konsequenzen, wenn das Heilsversprechen nicht gehalten wird. Das nehmen wir folgerichtig auch ganz »persönlich«: Plötzlich ist der Bankvertreter oder Manager ein Teufel und Verräter, der uns ins Unglück getrieben und unser gläubiges Vertrauen missbraucht hat. Wer an ein Geschäftsmodell oder an einen CEO »glaubt«, statt es oder ihn zu verstehen, zahlt in diesem Fall nicht einfach eine Rechnung, die vorab kalkuliert werden konnte, sondern – nachdem seine Seele verspekuliert, aber nicht erlöst wurde – mit der persönlichen Erschütterung über diesen emotionalen Missbrauch. Viel zu lange, so formuliert es der Kunstwissenschaftler und Essayist Jörg Scheller, »lebte man mit den Shareholder Schamanen in glücklicher Symbiose, lauschte ihren süßen Gesängen und stellte keine Fragen.« 34
Fazit: Der Seufzer über die »Komplexität unserer modernen Welt« ist einem uralten Seufzer nicht unähnlich: »Gottes Wege sind unerforschlich«. Die biblische Antwort darauf lautet übrigens: »Komm, folge mir nach« (Mt 19,21). Das ist eine legitime Einladung. Ob diese Haltung bei unseren irdischen Geschäften angemessen ist? Dabei sollte der eigene Verstand die entscheidende Rolle spielen. Und nicht der smarte, faule Zauber von Gurus, eifrigen Messdienern und Pseudoliturgien. Denn nicht der Glaube an sich oder die Liturgie an ihrem angestammten Platz einer Religionsgemeinschaft ist zu kritisieren, sondern ihr Imitat zur Herstellung von Geschlossenheit und Erschleichung von Vertrauen.
Unter Umgehung des kritischen Denkens.
29 In der Süddeutschen Zeitung vom 17.11.2010 wird dieser Kampf der Titanen prominent auf Seite 2 und 3 platziert und durchgehend in der Mythenmetaphorik beschrieben.
30 David Berger: Der heilige Schein . Ullstein 2010.
31 Zitat einer Kirchengemeinde: http://glaube-und-kirche.de/symbole2.
htm
32 Niklas Luhmann: Vertrauen. Ein Mechanismus der Reduktion sozialer Komplexität
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