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Unternehmen Wahnsinn

Unternehmen Wahnsinn

Titel: Unternehmen Wahnsinn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theresia Volk
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persönlich gesprochen wird und im Ton immer versöhnlich und aufbauend ist: »Der Herr sei mit euch, sprich: ich bin bei euch. Gehet hin in Frieden.«
    Dann ist Schluss. Jetzt ziehen die Event-Regisseure die Register zum ultimativen Finale. Eine einmalige Klang-Film-Tanz-Licht-Performance hüllt alle Beteiligten ein, bringt sie gemeinsam auf die Bühne. Menschen stehen auf, applaudieren, manche umarmen sich.
    Anschließend geht es zu wie anno dazumal nach einem richtig festlichen Hochfeiertagsgottesdienst auf dem Dorf-Kirchplatz: Man ist steif vom vielen Sitzen und freut sich auf den Tratsch und Klatsch mit den Kollegen beim Frühschoppen im gegenüberliegenden Wirtshaus. Es gibt ja auch eine Menge zu besprechen: Was heißt es, dass X neben Z saß und nicht V? Warum hatte Y eigentlich keinen Auftritt? Weil er letztes Jahr seinen Text nicht mehr richtig aufsagen konnte? Was ist von der Predigt zu halten? Nicht alle fanden sie gut, auch am Kirchenschmuck wird hie und da rumgemäkelt. Das macht aber nichts. Lästern dient der Gemeinschaftsbildung und befriedigt die eigene Souveränität – man wird sich ja doch durch das ganze Theater nicht einfach so einfangen lassen. Nur den Jungmanagern, die in diesem Jahr erstmals eingeladen waren, stehen Stolz und Ergriffenheit noch im Gesicht.
    Glaube. Liebe. Hoffnung
    Was bedeutet es, wenn für die Verantwortungsträger einer Firma solche Veranstaltungen zelebriert werden? Was ist die Funktion einer Liturgie in ihrem angestammten kirchlichen Kontext? Sie hat eine doppelte Intention. Sie vermittelt die göttliche Heilszusage – durch Symbole und Zeichenhandlungen – und ist zugleich gläubige Antwort (Lob, Bitte, Dank) des Volkes auf die Segnungen Gottes. Das Besondere: In der Liturgie selber vollzieht sich die Erlösung. Liturgisches Handeln verändert und wirkt unmittelbar. (Was man von Strategiebeschlüssen nicht immer sagen kann.) Dass vieles mysteriös bleibt – zum Beispiel wie der Turnaround konkret geschafft werden soll – wäre bei der Diskussion eines Businessplans ein Manko, der liturgischen Feier tut das keinen Abbruch, im Gegenteil, sie speist sich aus dieser Aura des Mysteriösen und Numinosen. Die große Suggestionskraft, die zum Beispiel in der ganz alten Liturgieform, der tridentinischen Messfeier, liegt, schildert ein Theologe anschaulich: »An die Stelle von Inhalten und rationaler Auseinandersetzung trat die vieldeutige Sprache der Bilder und Symbole, die uns auf einer seelischen Ebene überzeugt. Mir eröffnete sich eine Welt, die das Heilige in einer Überbetonung des Ästhetischen zu finden sucht. Eine Welt, in der Inhalte zweitrangig sind und in der man sich vorbehaltlos den Äußerlichkeiten des heiligen Scheins überlässt.« 30
    Die Millionen, die diese liturgischen Tagungen kosten, scheinen wohl investiert, denn es geht um nichts weniger als um:
1. Zuspruch von Heil (Glaube): der Glaube an das Produkt, an das Geschäftsmodell, an die Entscheidungen des Vorstands. 2. Bindung durch Zugehörigkeit (Liebe): Die Herstellung des Gefühls, mit so vielen anderen einen Verbund zu bilden, zusammenzugehören, ist essentiell in den fragmentierten Konzernwelten. 3. Trost durch Bändigung der Angst (Hoffnung): Denn das letzte Jahr über konnte einem die Angst schon mal ins Genick kriechen bei all dem, das schieflief, das man nicht verstanden, nur erduldet oder geschluckt hat. Gut, dass jemand einen Zauberspruch spricht und die Dämonen bannt.
    »Glaube-Liebe-Hoffnung« also, die drei göttlichen Tugenden im Christentum. Sie »befähigen und ermutigen uns, das eigene Leben und das Leben in Gemeinschaft sinnvoll zu gestalten«. 31 Das sind die Bindemittel, auf die Firmen im Zeitalter der Komplexität zurückgreifen. So setzen sie Hoffnung und Vertrauen frei. Und fordern ebendieses auch ein.
    Trust in Luhmann!
    In engem Zusammenhang mit dem Magie-Drift in Geschäftsbeziehungen steht jener Begriff, den Niklas Luhmann so definiert hat: Vertrauen ist die wirksamste Maßnahme zur Reduktion von Komplexität. 32 Allerdings ist zu unterscheiden, was im Englischen konsequenterweise zwei verschiedene Begriffe sind: »confidence« (Systemzutrauen) und »trust« (persönliches Vertrauen). Um Letzteres wird seit geraumer Zeit heftig geworben, bei den eigenen Mitarbeitern wie bei den Kunden. Dagegen wäre es dringend nötig, mehr vom Ersteren zu erzeugen.
    Für »trust« braucht es persönliche Bindung und Beziehung. Gerade das, was in modernen differenzierten Gesellschaften

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