Unternehmen Wahnsinn
Trivialtölpeln abstempeln.
Die Komplexitätsrede fördert also kein entsprechend komplexes systemisches Denken, sondern animiert dazu, das Denken lieber ganz sein zu lassen. Da liegt der Verdacht nahe, dass die Zusammenhänge manchmal vielleicht doch gar nicht so komplex, so undurchschaubar sind, wie sie dargestellt werden; sondern dass sie bewusst undurchschaubar gehalten, als Info-Dschungel inszeniert werden.
Zur Beruhigung: Es geht hier nicht um Verschwörungstheorien, mitunter aber um den Tatbestand der »Beleidigung der menschlichen Intelligenz«. Denn nichts anderes liegt vor, wenn mit dem Verweis auf die Komplexität der Welt im Allgemeinen und der Wirtschaft im Besonderen das selbstständige Denken als altmodisch gebrandmarkt und das gläubige Mitmachen als innovativ gerühmt wird.
Einfach beeindruckend. Beeindruckend einfach
Der Glaube ist ein großer Vereinfacher. Eine Orientierung. Und Mythen waren die ersten Wertestifter. Mit ihren großen Geschichten und Gestalten, den Dämonen und Göttern, erklärten sie die Welt und schufen Ordnung zwischen gut und böse, richtig und falsch, Himmel und Hölle. Heute scheint man sie »im Markt« wieder sehr zu brauchen, die großen Geschichten und Gesichter. Ohne sie lässt sich offenbar nichts mehr verkaufen. Ein Mann (der neue CEO) und eine Story (seine Vision für das Unternehmen) – das überzeugt die Börse, an der mit Heilshoffnungen und mit Verdammnisängsten gehandelt wird. Oder überzeugt eben nicht. Entscheidend sind die Analysten-Ratings, die Absolutionen aussprechen oder den Weg in die Vorhölle ebnen.
Jetzt könnte man einwenden, dass für den Verkauf unserer Produkte ein wenig überirdisches Getöse und kultischer Popanz doch nicht schaden kann. Aber der Kult-Betrieb läuft auch intern, in den Organisationen selbst, auf Hochtouren, und zwar an zentraler Stelle. Statt Berechnungen anzustellen und Strategien zu entwerfen werden in Unternehmen Liturgien zelebriert, die hauptsächlich eines vom Publikum verlangen: zu glauben und bloß nicht zu zweifeln.
Großer Gott!
Das Design der bisweilen gigantomanisch anmutenden, meist einmal im Jahr stattfindenden Versammlungen des Konzern-Top-Zirkels, nicht selten 1000 Personen und mehr, ähnelt frappierend dem Aufbau einer katholischen Liturgie. Mit Rahmenzutaten wie Altar (Bühne), Fahnen, Schmuck, Musik (hohe Kunst) und einem bis ins Kleinste durchdesignten Ablauf, einer strengen Sitzordnung, die Aussagen über den Rang macht, und einer Schar von Messdienern.
Den Beginn bildet ein Wortgottesdienst inklusive Bußakt mit der Kernformel: »Hier müssen wir besser werden«. Es folgen Lesungen und das Evangelium, die sogenannten Hard Facts, Geschäftszahlen, zum Teil auch Benchmarks, Marktanteile und Prognosen. Diese nackten Zahlen-Daten-Fakten sind so auslegungsbedürftig wie alttestamentarische Texte, da meist nicht selbsterklärend, mitunter sogar widersprüchlich und zudem in einer fremden und spröden Sprache formuliert. Deswegen folgt direkt darauf die Predigt mit den Erläuterungen der Fakten, entweder vom Chef persönlich oder vom Chefstrategen. Die beinhaltet apokalyptische Drohszenarien oder Aufrufe zum entschlossenen Durchschreiten des Roten Meeres; manchmal auch ans Herz gehende Seligpreisungen des kleinen Mannes, der sich täglich für die Firma aufopfert. Auch Schilderungen des gelobten Landes sind in diesen Predigten beliebt, ebenso wie Beschwörungen, dass nach dem langen Marsch durch die Wüste die Marktführerschaft endlich erreicht sein wird.
Nach dieser langen Auslegung kommt das klassische Fürbittgebet an die Reihe. Zentrale Projekte des nächsten Jahres werden vorgestellt, meist von verdienten Managern aus der zweiten Reihe, abgeschlossen mit dem frommen Commitment-Wunsch: »Wir bitten Euch, erhöret uns.«
Damit ist der erste Teil der Liturgie, der Wortgottesdienst, zu Ende. Er ist manchmal erbauend, oft aber langatmig und vorhersehbar; umso schöner dann, wenn die Veranstaltung sich auf den emotionalen Höhepunkt zubewegt, auf die Inszenierung und Anbetung des Allerheiligsten. Das neue Produkt erscheint. In Liturgien der Autobranche röhren jetzt die Motoren des neuen Modells auf den Altar. In der Kommunikationsbranche erhebt sich die Gemeinde zum Bestaunen und Bejubeln einer neuen Handy-Applikation. Variationen von Hochgebet, Sanctus und Benedictus erklingen: »Gesegnet sei, das da kommt« – und wir nähern uns dem Ende der Veranstaltung in Form des Segens, der natürlich vom CEO
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